Cinema Italiano 2017: Von der Politsatire bis zum feinfühligen Drama

30. Oktober 2017 Walter Gasperi
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Cinelibre und Made in Italy bieten auch diesen Herbst wieder in zahlreichen Schweizer Städten mit fünf Filmen einen Einblick in die Vielfalt des Filmschaffens auf der Apenninenhalbinsel.

Die großen Zeiten des italienischen Kinos mit Fellini, Antonioni, Visconti und Pasolini sind zwar längst vorbei, dennoch bietet es immer noch weit mehr als die schmale Zahl an Filmen, die jährlich einen Verleiher in den deutschsprachigen Ländern finden. Schon zum neunten Mal versuchen deshalb Cinelibre und Made in Italy mit ihrem Tourneefestival einen erweiterten Einblick in die Vielfalt und Vitalität des aktuellen italienischen Filmschaffens zu vermitteln.

Mit 1,8 Millionen Kinoeintritten gelang dem sizilianischen Komikerduo Salvo Ficarra und Valentino Picone mit "L´ora legale" der größte italienische Komödienerfolg dieses Jahres. Malerisch liegt das fiktive sizilianische Städtchen Pietrammare am Meer, doch unzufrieden ist man mit dem Bürgermeister angesichts von Müllproblem, Verkehrsstau und Umweltverschmutzung.

Zunehmend lauter wird der Ruf nach "Change" und bei der anstehenden Wahl fährt folglich ein politisch unerfahrener, aber rechtschaffener Lehrer einen klaren Sieg ein. Sofort beginnt er die Wahlversprechen kompromisslos umzusetzen, doch der Bevölkerung gehen diese Reformen bald entschieden zu weit.

Was als rasante und mit Detailreichtum punktende Abrechnung mit korrupten Politikern beginnt, wandelt sich zunehmend zur bösen Kritik an einer Bevölkerung, die in Wirklichkeit gar keine Veränderung will, sondern nur an der Wahrung der eigenen Interessen und Privilegien interessiert ist. Treffsicher und bissig ist der Blick von Ficarra und Picone zwar, wird aber abgefedert durch das stets spürbare Verständnis für das allzu menschliche Verhalten.

Nicht nur in "L´ora legale" kommt die katholische Kirche für einen italienischen Film überraschend schlecht weg, sondern auch in Edoardo de Angelis´ mit sechs italienischen Filmpreisen ausgezeichnetem Drama "Indivisibili". Denn die 18-jährigen siamesischen Zwillinge Viola und Dazy werden nicht nur von ihrem Vater ausgebeutet, der mittels ihrer Auftritte bei Hochzeiten und religiösen Feiern das Leben der ganzen Familie finanziert, sondern auch der Priester profitiert davon die Zwillinge als Wunder auszustellen und vorzuführen. Sowohl Vater als auch Priester wehren sich deshalb entschieden gegen Dazys Wunsch durch Operation eine Trennung herbeizuführen.

Getragen von den beiden großartigen Hauptdarstellerinnen Angela und Marianna Fontana, arbeitet de Angelis in dem bestechend schön gefilmten Drama aber auch differenziert den unterschiedlichen Charakter der Zwillinge heraus. Während Dazy sich nämlich nach einem eigenen und unabhängigen Leben sehnt, hat Viola Angst vor jeder Veränderung. Physisch mag man die jungen Frauen trennen, dass aber die innere Nähe bleibt, macht die Schlusseinstellung deutlich.

In ein Jugendgefängnis entführt dagegen Claudio Giovannesi in "Fiore". Hier sehnen sich die sich liebenden Häftlinge Daphne und Josh nicht nur nach Freiheit, sondern auch nach körperlicher Nähe. Jeder Kontakt ist ihnen aber verwehrt, sodass sich die Beziehung auf Blicke und heimliche Briefe beschränken muss.

Im Gegensatz zu diesem Drama, das an den Neorealismus erinnert, präsentiert Francesco Amato mit "Lasciati andare" eine Screwball-Komödie. Wortwitz und Situationskomik kommen nicht zu kurz, wenn ein vom stets großartigen Toni Servillo gespielter introvertierter Psychoanalytiker im Fitness-Center auf eine quirlige Trainerin trifft, die Probleme geradezu magnetisch anzieht.

In "La tenerezza" von Altmeister Gianni Amelio kommt schließlich das Leben eines pensionierten Rechtanwalts, der kaum Kontakt zu seinen Kindern hat, durch die Begegnung mit seiner jungen Nachbarsfamilie in Bewegung. Der verbitterte Witwer blüht durch den Kontakt auf, freut sich am Spiel mit den Kindern der Nachbarn, bis ein dramatisches Ereignis alles verändert.

Trailer zu "L´ora legale"