"Cinema Italiano 2010" - Fünf italienische Filme in den Schweizer Kinos

13. September 2010 Walter Gasperi
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Zum zweiten Mal bringt Cinelibre in Zusammenarbeit mit dem Verein Made in Italy fünf neue, im deutschsprachigen Raum aber weitgehend unbekannte italienische Filme in die Deutschschweizer Kinos und Filmclubs. Der Bogen spannt sich vom leisen norditalienischen Krimi bis zum süditalienischen Mafiathriller, von einer Vater-Tochter-Geschichte aus der Zeit des Faschismus bis zum Feelgood-Movie über die Förderung einer Gruppe von psychisch Kranken.

Wie bei der ersten Auflage 2009 sind es auch heuer nicht neue Filme weltweit bekannter italienischer Regiegrößen wie Matteo Garrone ("Gomorra") oder Paolo Sorrentino ("Il divo"), nicht Neues von Giuseppe Tornatore ("Cinema Paradiso") oder Emanuele Crialese ("Lampedusa"), die Cinelibre und Made in Italy als Schweizer Premieren wiederum unter dem Titel "Cinema Italiano" in die Kinos bringen. Außerhalb Italiens eher unbekannt sind die Regisseure, auch wenn es sich bei dem 1938 geborenen Pupi Avati um einen Altmeister handelt, der seit Ende der 1960er Jahre schon über 40 Filme gedreht hat.

Obsessive Vaterliebe

In "Il papà di Giovanna" blickt Avati einerseits auf die Zeit des Faschismus zurück, erzählt andererseits eine sehr private Geschichte. Die etwa 18-jährige Giovanna kommentiert zwar mit Voice-over die schwarzweißen Familienfotos, mit denen der Film einsetzt und mit denen er wieder enden wird, doch im Zentrum der Handlung steht ihr Vater.

Abgöttisch liebt er seine Tochter, umsorgt und behütet sie. Die einzige Freude im Leben des unscheinbaren Zeichenlehrers scheint sie zu sein. Doch dann wird eine Mitschülerin Giovannas ermordet und fassungslos muss der Vater zur Kenntnis, dass seine Tochter die Mörderin ist. Als einziger wird er beim Prozess und nach Giovannas Einweisung in eine Nervenheilanstalt zu ihr halten, während die Mutter den Kontakt abbricht.

Große Geschlossenheit entwickelt dieses Drama, das im Bologna der späten 30er Jahre beginnt und in den 50er Jahren endet, durch die visuelle Gestaltung. Konsequent in warme Braun-Beigetöne taucht Avati den Film. Nostalgie breitet sich damit aber kaum aus, vielmehr eine bedrückende und schwere Stimmung, die mit der Gefühlslage des Vaters korrespondiert. Großartig spielt Silvio Orlando diesen alles hinnehmenden und nie aufbrausenden gedrungenen Mann um die 50. Sein Spiel trägt den Film und durch die Fokussierung auf diese Figur entwickelt "Il papá di Giovanna" seine Intensität.

Feelgood-Movie über psychisch Kranke

Psychische Erkrankung und der Umgang damit stehen im Zentrum von Giulio Manfredonias "Si può fare", der im Mailand der 80er Jahre spielt und auf wahren Begebenheiten beruhen soll: Der Gewerkschaftler Nello (Claudio Bisio) bekommt den Auftrag sich um eine Gruppe von psychisch Kranken zu kümmern, die nach der Auflösung der psychiatrischen Anstalten in Italien in Folge der Psychiatriereform eine Kooperative gegründet haben. Dass sich der betreuende Arzt darauf beschränkt die Patienten mit Medikamenten ruhig zu stellen, gefällt Nello gar nicht. Er geht offen auf sie zu, diskutiert mit ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten, fällt nicht diktatorisch Entscheidungen, sondern lässt über alles abstimmen. Bald spezialisiert sich die inhomogene Gruppe darauf professionell Parkettböden zu verlegen, entwirft dabei freilich auch höchst eigenwillige Muster…

Manfredonia entwickelt die Handlung konsequent weiter, denn das Aufblühen der psychisch Kranken durch die Arbeit und Nellos Umgang mit ihnen, verändert und belebt ihr ganzes Leben und führt sie Schritt für Schritt zur Selbstständigkeit. Dabei lässt "Si puó fare" den Zuschauer nicht nur lachen – und zwar nie über die Protagonisten, sondern immer mitfühlend und sich über die positive Entwicklung der Protagonisten freuend -, sondern kann einem auch die Tränen der Rührung in die Augen treiben, denn tragische Bruchstellen bleiben nicht aus.

Unbefangen im Umgang mit dem heiklen Thema inszeniert, lebt diese Tragikomödie, die das Zeug zum Crowd-Pleaser hat, von großartigen unverbrauchten Schauspielern, die die sehr speziellen Figuren so markant und prägnant verkörpern, dass sie einem rasch ans Herz wachsen.

Psychostudie im Krimigewand

In den äußersten Norden Italiens entführt den Zuschauer Andrea Molaioli, der in "La ragazza del lago" den Roman "Fremde Blicke" der norwegischen Schriftstellerin Karin Fossum nach Friaul verlegte. Heil scheint hier die Welt eines Dorfs, das an einem strahlenden Morgen zu neuem Leben erwacht. Doch dann wird am idyllisch gelegenen Bergsee die Leiche der jungen Anna gefunden. Aus der Stadt kommt Kommissar Sanzio um die Ermittlungen zu übernehmen.

Das hört sich nach einem klassischen (Fernseh)Krimi an, doch die Suche nach dem Mörder tritt zunehmend in den Hintergrund zugunsten der Durchleuchtung von brüchigen familiären Beziehungen und Figuren, die vielfach unter Verlust oder Krankheit eines geliebten Menschen leiden und daran zu zerbrechen drohen. So wandelt sich der Krimi zu einem leisen und subtilen psychologischen Drama, in dem sich erst langsam die Einzelteile zu einem Gesamtbild fügen.

Über die Recherchen des von Toni Servillo wunderbar zurückhaltend und voll Melancholie gespielten Kommissars dringt der Zuschauer nicht nur immer tiefer in die Wunden der einzelnen Dorfbewohner ein, sondern lernt auch den Ermittler selbst als Leidenden kennen. Das kleinste Problem ist da, dass er mit seiner Tochter im Teenager-Alter nicht ganz klar kommt, ungleich schwerer ist es damit fertig zu werden, dass seine an Alzheimer erkrankte Frau ihn beim Besuch in der Klinik nicht mehr erkennt. Ganz beiläufig spielt Molaioli mit dem Kontrast zwischen landschaftlicher Idylle und den dunklen Seiten des Lebens, und lässt trotz allem sein dichtes und sehr rundes Drama versöhnlich enden.

Eine Frau als brutaler Mafiaboss

Ungleich actiongeladener ist Edoardo Winspeares "Galantuomini". Der selbst 1965 in Apulien geborene Regisseur weiß wohl aus eigener Erfahrung, wovon er erzählt. Lichtdurchflutet und in warme Sommerfarben getaucht lässt er seinen Film Ende der 60er Jahre mit dem ausgelassenen Spiel dreier Kinder in einem apulischen Dorf beginnen. Mit einem Schnitt überspringt Winspeare gut 20 Jahre und zeigt, was aus den drei Kindern von einst geworden ist, lässt aber immer wieder Jugenderinnerungen in die Gegenwart hereinbrechen.

Während Ignacio als Untersuchungsrichter aus Rom in den Süden zurückkehrt, um in seiner Heimat die Mafia zu bekämpfen, stirbt Fabio sogleich an einer Überdosis Heroin. Ignacios Jugendliebe Lucia dagegen führt nach außen hin einen Parfümladen, ist in Wahrheit aber die rechte Hand ihres Onkels und Mafiapaten. Als sich ein brutaler Mafiakrieg entwickelt, bei dem auch Lucia ihre Kaltblütigkeit zeigt, kommt Ignacio langsam hinter die ihre wahre Identität und gerät ins Dilemma zwischen Pflicht und Liebe.

Das ist zwar sehr glatt und konventionell inszeniert, setzt mehr auf Action und starke Effekte statt zu differenzieren, vermag aber des hohen Erzähltempos und einer großartigen Donatella Finocchiaro, die als beinharter Mafiaboss ebenso überzeugt wie als brave Bürgerin, dennoch zu packen und spannende Unterhaltung zu bieten.

Treffpunkt Schwimmbad

Still geworden ist es um Giuseppe Piccioni nach dem Erfolg vor 10 Jahren mit "Fuori dal mondo – Nicht von dieser Welt". Im "Cinema Italiano" ist der promovierte Soziologe jetzt mit "Giulia non esce la sera" vertreten. Darin verliebt sich ein Schriftsteller, der nicht nur in einer schriftstellerischen Krise steckt, sondern auch mit seinem Leben insgesamt nicht mehr zurecht kommt, in die Schwimmlehrerin seiner Tochter. Die Beziehung gestaltet sich aber schwierig, da Giulia ein Geheimnis verbirgt.