Cindy Sherman. That’s me – That’s not me

Cindy Sherman beginnt mit achtzehn Jahren 1972 am State University College Buffalo Malerei zu studieren. 1975 wechselt sie ihr Hauptfach von Malerei zu Fotografie. Im Sommer 1976 schließt sie ihr Studium ab und im Jahr darauf verlässt die Künstlerin Buffalo und zieht nach New York City. Entgegen der bisherigen Annahme sind nicht die berühmten Untitled Film Stills (1977-1980) Shermans erste Arbeiten, vielmehr entstand während der Jahre 1975 bis 1977 in Buffalo ein umfassendes Frühwerk, welches das Fundament ihres zukünftigen OEuvre werden sollte.

Sherman entwickelt ihr Verständnis für die aktuellen zeitgenössischen Strömungen in dem von Künstlern selbstverwalteten Ausstellungszentrum Hallwalls, welches von Shermans damaligen Freund Robert Longo und Charles Clough im November 1974 gegründet wurde. Aufgrund des regen "visiting artists" - Programms in Hallwalls lernt sie u.a. Vito Acconci, Bruce Nauman und Chris Burden kennen. Für Sherman haben allerdings einige Künstlerinnen eine Vorbildfunktion. Lynda Benglis, Hannah Wilke, Adrian Piper, Eleanor Antin und Suzy Lake waren – wie Sherman selbst sagt - "role models", weil diese Künstlerinnen ihren eigenen weiblichen Körper in die Kunst einbrachten. Shermans Frühwerk ist entscheidend bestimmt durch die Anfang der 1970er Jahre aufkommenden künstlerischen Ausdrucksformen wie Film, Video, Fotografie, Installationen, Performances, Konzeptkunst und Body Art.

Cindy Shermans Frühwerk lässt sich in drei Phasen gliedern. Vorerst beginnt Sherman mit dem Porträt. Durch den differenzierten Einsatz von Make-up und Mimik entstehen 1975 einige Bildfolgen, die ihr Gesicht in Verwandlung zeigen. Die Fotografien Untitled (Growing Up) veranschaulichen den Werdegang von einem Mädchen zu einer jungen Frau und thematisieren den Prozess der Adoleszenz. Shermans zweite Phase beginnt, indem sie die Performance auf ihren ganzen Körper erweitert. Sie fotografiert sich in unterschiedlichen Posen, Rollen und Identitäten und schneidet die entworfenen Figuren aus dem Fotopapier aus (Cutout). So entsteht der Animationsfilm "Doll Clothes" (1975) und mehrere Arbeiten, in denen sie die Cutouts überlappend aneinander reiht. In der dritten Phase ihres Frühwerkes lässt Sherman unterschiedliche Figuren (Charaktere) interagieren, wie in den Cutout-Serien "A Play of Selves", "Bus Riders" und "Murder Mystery" (alle 1976).

"A Play of Selves" zeigt mit 244 Figuren und 72 Szenen in vier Akten und einem Finale ein aufwändig inszeniertes Theaterstück. Sherman veranschaulicht darin mit unterschiedlichen Charakteren (u.a. Wahnsinn, Begehren, Eitelkeit, Pein, gebrochene Frau und idealer Liebhaber) die mannigfaltige und gleichzeitig ambivalente Gefühlswelt einer Frau. In der Serie "Murder Mystery" entwirft sie mit ca. 211 Cutouts und 80 Szenen eine Kriminalgeschichte, deren Ausgang ungewiss bleibt. Sherman inszeniert sich darin u.a. als eifersüchtiger Liebhaber, Butler, Mutter und Detektiv. Beide Serien sind komplex aufgebaut und folgen einem ausgeklügelten Storyboard. Dabei werden die einzelnen Figuren entsprechend der Szene in unterschiedlichen Größenverhältnissen entworfen. Die Anzahl der Szenen konzipiert Sherman für die jeweilige Raumsituation, klebt sie auf Augenhöhe direkt an die Wände und schafft damit eine raumgreifende Installation.

Das komplexe Frühwerk von Cindy Sherman ist durch einen konzeptuellen und performativen Schaffensprozess bestimmt. Viele der Cutouts sind aufgrund der ephemeren Präsentationsweise verloren gegangen, wie etwa die "Bus Riders". In den Jahren in Buffalo erhebt Sherman erstmals das Spiel der Verwandlung zu ihrem künstlerischen Konzept und schafft zahlreiche bis heute unbekannte Fotografien, die auffallend viele Elemente des Theaters und des Films in sich vereinen. Seit mehr als 35 Jahren visualisiert Cindy Sherman eine Vielzahl von Rollenbildern und weiblichen Identitäten.

Cindy Sherman. That’s me – That’s not me
Frühe Werke 1975 – 1977
Kunst aus der Sammlung Verbund
2. Februar bis 26. Mai 2013