Chronist der polnischen Geschichte: Zum 90. Geburtstag von Andrzej Wajda

7. März 2016 Walter Gasperi
Bildteil

Von den Napoleonischen Kriegen über die Entstehung des Kapitalismus in Lodz und den Zweiten Weltkrieg bis zum Stalinismus und der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność hat Andrzej Wajda sich in seinen Filmen immer wieder mit der polnischen Geschichte auseinandergesetzt. Am 6. März wurde der vielfach ausgezeichnete Meisterregisseur 90 Jahre alt.

Untrennbar mit der polnischen Geschichte war schon die Jugend des Sohnes einer Lehrerin und eines Offiziers verbunden, denn sein Vater gehörte zu den Opfern des Massakers in Katyn. 2007 wird Wajda in einem Spielfilm diese Geschichte der Ermordung mehrerer tausend polnischer Offiziere und Zivilisten durch Einheiten des sowjetischen Geheimdienstes im Jahr 1940 aufarbeiten.

Mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs beschäftigte sich Wajda, der zwischen 1946 und 1949 in Krakau Kunst studierte, dann an die Filmhochschule in Lodz wechselte, aber schon in seinen ersten Spielfilmen. In seinem Abschlussfilm "Eine Generation" (1953) erzählt er von Jugendlichen, die sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit der deutschen Besatzungsmacht schließlich dem kommunistischen Widerstand anschließen.

Schon hier zeigte sich Wajdas Interesse an ausweglosen Situationen, das er in seinen folgenden Filmen weiterführte. In "Der Kanal" (1957) thematisierte er die Endphase des Warschauer Aufstands von 1944, wobei von Anfang an ein Voice-Over-Kommentar keine Hoffnung auf Erfolg aufkommen lässt. Wie schon in "Eine Generation" verstärkte auch hier eine expressive Bildsprache mit harten Gegensätzen von Hell und Dunkel die Ausweglosigkeit.

Wenig Hoffnung gibt es auch in Wajdas Meisterwerk "Asche und Diamant" (1958), das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Polen spielt, in dem sich nationalistische Partisanen, Kommunisten und Karrieristen bekämpfen. Im Mittelpunkt steht ein junger Heimatarmist, der von dem damals mit James Dean verglichenen Zbigniew Cybulski gespielt wurde. Er führt den Auftrag einen Kommunisten zu ermorden zwar noch aus, wird dann aber selbst schwer verwundet und stirbt auf einer Müllhalte.

Während Wajda in "Lotna" (1960) nochmals den Blick zurück wandte und vom Untergang der polnischen Kavallerie am Beginn des Zweiten Weltkriegs erzählte, legte er mit "Die unschuldigen Zauberer" (1960) eine kammerspielartige Liebesgeschichte unter jungen Menschen vor. Doch schon im folgenden Film "Samson" (1961) kehrte er mit der Geschichte eines Juden aus dem Warschauer Ghetto und den Themen Einsamkeit und Ausweglosigkeit wieder zur Stimmung seiner ersten Filme zurück.

Ein breites Panorama der Lage Polens zur Zeit Napoleons entwarf Wajda dann in dem in Cinemascope gedrehten monumentalen Historienfilm "Legionäre" (1965), an dem er zwei Jahre arbeitete. Im Mittelpunkt stehen dabei die Aktionen jener polnischen Legionen, die in der Hoffnung auf Freiheit für ihr Land dem kleinen Korsen durch halb Europa folgten. Kein Heldengemälde von der Entstehung des polnischen Nationalbewusstseins schuf Wajda hier, sondern er zeichnet ein ambivalentes Bild der polnischen Beteiligung an den napoleonischen Feldzügen.

Noch düsterer als dieser Film, für den Wajda in seiner Heimat teils heftig kritisiert wurde, geriet ihm "Landschaft nach der Schlacht" (1970), der wie schon "Asche und Diamant" unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs spielt und ebenso die Orientierungslosigkeit und Zerrissenheit Polens thematisiert wie der 1900 in Krakau spielende "Die Hochzeit" (1973).

Zu seinen Meisterwerken zählt auch "Das gelobte Land" (1975), in dem episch breit von einem Juden, einem Polen und einem Jungindustriellen erzählt wird, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Lodz gemeinsam eine Textilfabrik aufbauen und dabei vor nichts zurückschrecken.

Eine virtuose Auseinandersetzung mit dem Stalinismus, die sich gleichzeitig selbstreflexiv mit der filmischen Inszenierung auseinandersetzte gelang Wajda mit "Der Mann aus Marmor" (1977), in dem er von der Recherche einer Studentin zu einem in Ungnade gefallenen Helden der Arbeit der 1950er erzählt.

Am Puls der Zeit war der Meisterregisseur mit dem Nachfolgefilm "Der Mann aus Eisen" (1981), der zwar dramaturgisch weniger geschliffen als der Vorgänger aber aufgrund der Thematisierung der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność brennend aktuell war und wohl auch aus politischen Gründen 1981 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Auch in den polnischen Kinos war dieser Film, in dem – wie schon in "Der Mann aus Marmor" – Fiktives und Dokumentarisches ineinander fließen, ein großer Erfolg, bis er nach Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 verboten wurde.

Wie wenig sich Wajda dennoch auf politische und historische Filme festnageln lässt, zeigt der 1979 entstandene lyrische "Das Mädchen aus Wilko", in dem ein Mann sich anlässlich seines Besuchs in seinem Heimatdorf an die einstigen Hoffnungen und Gefühle erinnert.

Mit Anklängen an die zeitgeschichtlichen Ereignisse in Polen verfilmte er in Frankreich 1982 Stanisława Przybyszewska Theaterstück "Die Sache Danton", das er schon 1975 in Warschau am Teatr Powszechny inszeniert hatte, sowie in Deutschland Rolf Hochhuths Roman "Eine Liebe in Deutschland" (1983).

Während diese 1941 spielende Geschichte über eine Liebe zwischen einer Bäuerin und einem Kriegsgefangenen, die von der Dorfbevölkerung verraten und schließlich hingerichtet bzw. ins KZ deportiert werden, von der Kritik weitgehend zerrissen wurde, überzeugte "Korczak" (1990), in dem Wajda bewegend vom Martyrium des titelgebenden polnischen Pädagogen und seiner Schützlinge, die von den Nazis ermordet wurden, erzählte, durch seinen Humanismus.

Pendeln zwischen historischen und aktuellen Themen, zwischen Adaptionen von Klassikern der polnischen Literatur und eigenen Stoffen kennzeichneten auch in den letzten 20 Jahren Wajdas Werk. Da steht neben "Fräulein Niemand" (1996), in dem es um ein Mädchen aus der Provinz geht, das in der Großstadt zum Mobbing-Opfer wird, die Aufarbeitung des Massakers von Katyn ("Das Massaker von Katyn", 2007).

Und den sehr werkgetreuen Verfilmungen von Adam Mickiewicz Versroman "Herr Tadeusz" (1999) und von Aleksander Fredros Komödie "Die Rache" (2002), die beide auf unterschiedliche Weise von einem Familienstreit, der durch die Liebe eines jungen Paares beigelegt wird, handeln, stehen biographische Filme gegenüber.

Umstritten ist dabei sein Biopic über Lech Walesa, das schon durch den Titel "Walesa – Mann der Hoffnung" (2013) an "Mann aus Marmor" und "Mann aus Eisen" anknüpft, und erst in Arbeit befindet sich "Powidoki", der sich mit dem polnischen Avantgardekünstler Wladyslaw Strzeminski auseinandersetzt.

Verleihung des Ehrenoscars (2000) an Andrzej Wajda