Christian Petzold im Österreichischen Filmmuseum

Als das Filmmuseum Christian Petzold (*1960) eine erste Retrospektive widmete, war er gerade mit seinem Kinodebüt "Die innere Sicherheit" (2000) "vom Geheimtipp des deutschen Gegenwartskinos zu einem seiner wichtigsten Vertreter avanciert" – eine Einschätzung, die seither mehrfach bestätigt wurde. Preisgekrönte Arbeiten wie "Gespenster", "Yella" und "Jerichow" rückten ihn immer stärker ins internationale Rampenlicht, während er seinen unverwechselbaren Stil perfektionierte.

Petzold arbeitet an Phantombildern der deutschen Gegenwart, gespeist aus einer cinephilen Passion, die nicht am bloßen Zitat, sondern am (Ein-)Gemachten des Kinos interessiert ist. Und er beschwört gern Claude Chabrol als Referenzgröße, vor allem, was die Rolle der découpage betrifft: Die filmische Erzählung entsteht nicht so sehr am Schreib- oder Schneidetisch, sondern in der bewussten und präzisen Wahl von Blickpunkten, Bildgrößen, Kamerabewegungen; dort, wo die Kinobegriffe selbst eine Engführung von Sujet, Figuren und Welthaltigkeit erlauben.

Zwischen den Trugbildern eines "dokumentarischen" Naturalismus und einer demonstrativ ausgeschilderten "Message" setzt Petzold auf eine entschlackte Idee von Künstlichkeit. Nicht schöne Oberflächen oder auffällige Erzählexperimente sind das Ziel, sondern die filmische Konkretisierung dessen, was im jeweiligen Stoff – und in der Gesellschaft – latent vorhanden ist: "Das Kino entdeckt diese Dinge ja nicht, sondern es kennt sich nur wahnsinnig gut aus im Bereich der Träume und der Verdrängung. Hier findet das kollektive Unbewusste Bilder und Töne, hier geht es um Menschen, die an den Verhältnissen zerbrechen und die sich dagegen zur Wehr setzen."

Zuletzt hat Petzold zwischen erfolgreichen TV-Ausflügen die Beforschung des Unbewussten um historische Sujets erweitert: Die DDR-Geschichte "Barbara" und der Nachkriegs-Psychothriller "Phoenix" wurden weltweit seine größten Publikums- und Kritikererfolge. Nur in Deutschland stieß "Phoenix" auf wenig Gegenliebe – wohl ein Beleg für die Ausnahmeposition, die sich Petzold (in fruchtbarer Zusammenarbeit mit seinem 2014 verstorbenen Lehrer und Dramaturgen Harun Farocki) erkämpft hat: Als wäre sein Kino zu filigran, zu vielschichtig, zu intelligent für "Aufreger"-Debatten im Feuilleton, das sich in Oberflächlichkeiten verbeißt, statt den subtilen Reichtum dessen zu würdigen, was durch bloße Andeutung wirkt.

Seit seinem Hochschul-Abschlussfilm, dem Road Movie "Pilotinnen" (1995), hat Petzold so gründlich wie gelassen deutsche Wirklichkeit mit mythischen Entwürfen fusioniert, insbesondere mit jenen des heißgeliebten Krimi-Genres (z.B. wenn er "The Postman Always Rings Twice" vor dem Hintergrund des Afghanistankriegs zu "Jerichow" umschreibt). Auch Geistergeschichten sind ihm nahe: Die RAF-Vergangenheit spukt durch "Die innere Sicherheit", die ökonomische "Einverleibung" des deutschen Ostens durch "Yella", die Gespensterwelt des Holocaust durch "Phoenix" – als Edelzombie-Variante von Orpheus und Eurydike mit Schlaglichtern von Fassbinder-Melodram, Franju-Horror und allumfassender Noir-Ambivalenz. Nicht zuletzt beweist "Phoenix" sehr konsequent, dass Petzoldfilme erschütternde Liebesfilme sind: noch ein Kino-Kernmythos.

Die aus 21 Werken bestehende Carte blanche vertieft dementsprechend Christian Petzolds Wahlverwandtschaften – im erinnernden Umgang mit dem Kino, das für ihn ein "Proust’sches Medium" ist: "Manche glauben, dass Reflexion die Frische zerstört, aber ich denke, dass sie zu einer anderen Form des Ungekünstelten führt." Es sind Filme, wie er sie gemeinsam mit Crew und Schauspielern zur Vorbereitung sichtet. "Kino ist ein Kollektiv, man muss sich ja verständigen, das ist wie bei einem Bankraub." Erbeutet werden dabei auch neue Perspektiven: "Der Film wird ein anderer, wenn man ihn mit zwei verschiedenen Darstellern schaut."

Das Verhältnis zwischen Petzolds eigenen Filmen und denen, die er ausgewählt hat, ist nur zum Teil thematisch begründet. Szabó Istváns "Bizalom" etwa korrespondiert mit "Phoenix" durch sein Weltkriegssujet, aber vor allem im Porträt einer Paarbeziehung, in der "Spiel zu Gefühl" wird. An der Noir-Perle "Phantom Lady" faszinieren Petzold die "schwachen Männer", aber auch der Irrwitz der Plot-Komplikationen. Eine starke Frau wie Petzolds "Beischlafdiebin" findet ihr Echo in einer Nebenfigur von Don Siegels Gangster-Geniestreich "Charley Varrick". Auch Bewegungsformen des Kinos bieten Anknüpfungspunkte: Wie man langes Gehen filmt (in "Gespenster" und in "La Fille seule") oder Bilder für "herumfahrende Gespenster" findet (in "Die innere Sicherheit" und "Near Dark"). Wie die Titelheldin von "Yella" sich verkauft, haben es die Titelfiguren von "American Gigolo" und "Pretty Woman" getan, unter jeweils spezifischen historischen und sozialen Bedingungen.

So vermag das "Proust’sche" Kino sich und uns an seine und unsere Zeiten bzw. Orte zu erinnern. Christian Petzolds Filme suchen diese Kraft auch in der Bilderflut des 21. Jahrhunderts: Sie erzählen eine, seine wahre Geschichte Deutschlands und was es heißt, darin zu leben.


Christian Petzold
Gesamtwerk und Carte blanche
7. April bis 4. Mai 2016