Buch statt Ausstellung: Hundertwasser – Schiele

Wenn die Ausstellung geschlossen ist, bekommt die Publikation eine noch viel weitreichendere Bedeutung – und hier handelt es sich um eine wirklich gut gestaltete. Das Leopold Museum ist ja die international bedeutendste Egon Schiele-Sammlungs- und Forschungsstätte, deswegen fokussiert die große Ausstellung in Wien auf den Dialog zwischen Hundertwasser und Schiele. Fraglos kämen auch weitere Künstler der klassischen Moderne für die komparative Auseinandersetzung in Frage. Gustav Klimt zum Beispiel, dessen Ornamentik formale Anknüpfungspunkte bieten würde, doch "auch Paul Klee beeinflusste Hundertwasser zu Beginn seiner Laufbahn, aber auch Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Amedeo Modigliani u. a. finden in Hundertwassers Briefen an seine Mutter Elsa Stowasser aus dem Jahr 1950 explizit Erwähnung als ‚wahre Priester‘ bzw. als ‚die wahren Heiligen‘", wie im Prolog des Buches zu lesen ist.

Der poetische Text "Ich liebe Schiele", der aus den Tagebüchern 1950/51 Friedensreich Hundertwassers stammt, legt nahe, wie intensiv die Beschäftigung mit Leben und Werk Schieles war, das sich dem Akademiestudenten durch Ausstellungsbesuche und Lektüre erschloss. "Hatte Schiele bereits im Alter von 19 Jahren der Akademie den Rücken gekehrt, um ein eigenes Atelier zu begründen, so verließ auch der 20-jährige Stowasser 1949 die Akademie mit Blickrichtung Italien und Paris. Wie Schiele eine geistige Vater-Sohn-Beziehung zu Klimt aufbaute und sich aus dessen Werk herausentwickelte, so wählte Hundertwasser im Zeitraum von 1948 bis weit über die 1950er-Jahre hinaus Schiele – metaphorisch gesprochen – zu einem seiner Leitsterne, um in Auseinandersetzung mit der Pariser Avantgarde seinen eigenen Weg zu finden."

Viel Interessantes ist gut lesbar in den weiteren Kapiteln über die beiden Künstler und ihre Zeit zu finden. Doch emotional, erkenntnisreich und inspirierend wird es im "Tafelteil" mit seitengroßen Fotos der Bilder aus den Schätzen des Leopold Museums, hochkarätiger Leihgaben aus österreichischen und internationalen Sammlungen und bisher nicht veröffentlichten Archivmaterials, die in einen spannenden künstlerischen Dialog treten und den LeserInnen Aha-Erlebnisse bescheren.

Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow
Katalog zur Ausstellung 21.02. – 31.08.2020
Leopold Museum, Wien
c 2020 Leopold Museum-Privatstiftung, Wien
270 Seiten, dt/en
ISBN 978-3-9504888-2-1