Der hundertste Geburtstag von John Wayne am 26. Mai 2007 war für das Kunstmuseum St.Gallen der Grund zu einer grossen Sonderausstellung. Anlässlich der Schau "Brave Lonesome Cowboy", die vom 24. August 07 bis 27. Jänner 08 zu sehen ist, wurde im Verlag für Moderne Kunst Nürnberg ein Ausstellungsbuch herausgegeben.
Der Mythos lebt! Der Western ist nach wie vor präsent, allerdings scheint das klassische Genre häufig parodierend gebrochen – trotz seiner klaren Plots und präzisen Erzähllinien. Dies mag für den Hollywood-Film wie auch dessen kommerzielle Ausbeutung gelten, nicht aber fürs echte Leben. Ungebrochen haben die Produktionen aus Hollywoods Traumfabrik hier Vorbildfunktion. So berichtet etwa Walter Niederberger in der Ausgabe des Zürcher Tages-Anzeigers vom 3. März 2007, dass, nachgerade brandaktuell, der US-amerikanische Bundesstaat Texas raue Gepflogenheiten des Wilden Westens gesetzlich verankern wolle: Auf Einbrecher dürfe demnach sofort und ohne jede Vorwarnung geschossen werden. Erst schießen, dann fragen – eine vermeintliche "Grundregel des Westerns erlebt ein glorioses Comeback". Dieselbe Grundregel scheint in abgeschwächter Form auch dann auf, wenn etwa US-Präsident George W. Bush vor laufender Kamera die Arme vor der Brust verschränkend über seinen Kontrahenten im Wahlkampf sagt: Lass ihn reden, wir handeln.
Eine jüngere Geschichte gewissermaßen von Antihelden ließe sich ebenfalls erzählen, denken wir nur an die Befestigungen, welche die USA seit Kurzem an der Grenze zu Mexiko installieren – von der Geografie her im Übrigen Western-Kernland! –, um angeblich Immigrantenströme abzuwehren. Es geht darum, Land für sich zu reklamieren und auch unter Lebensgefahr zu verteidigen. Landnahme war stets eines der großen Themen des Westerns, das latent Konflikte um Besitz und Freiheit in sich birgt.
Mit Landnahme untrennbar verbunden war die Idee der Etablierung von Recht und Ordnung: Auf neu besiedeltem Terrain hatten schließlich die moralischen Grundsätze der Siedler zu gelten. Die Native Americans, fälschlicherweise Indianer genannt, standen solchem Treiben schlicht im Wege. Man wird allerdings den Verdacht nicht los, dass selbst aktuelle Weltpolitik nach vergleichbaren Mustern funktioniert. Wie dem Irak durch Besatzung – so erklärt – Demokratie gebracht bzw. ebendort law and order durchgesetzt werden soll, lässt unmittelbar an die Topoi von Western-Filmen denken – wenn auch in durchaus pervertierter Form. Das betrifft vordringlich die Figur des Helden: Denn im Western bleiben diejenigen, die die Welt, die aus dem Ruder gelaufen ist, wieder ins Lot bringen – die Guten also – zumeist beziehungslos zur Gesellschaft. Sie treten auf und handeln. Ist die Aufgabe erledigt, treten sie wieder ab!
Sicherlich hat im klassischen Western auch das Gute seine dunklen Facetten. Die Übergänge sind allerdings fließend. Geschossen und getötet wird schließlich auf beiden Seiten. Wenn auch auf der einen für eine gute Sache. Vielleicht ist alles auch nur eine Frage feinster Gradationen: Es kann vom Helden nicht erwartet werden, auf Frauen oder Kinder zu schießen. Ganz anders sieht es bei den bösen Gegenspielern aus.
Wie kaum ein Zweiter verkörpert der am 26. Mai 1907 geborene Schauspieler Marion Robert Morrison die Ideale des Westerns. Bekannt geworden ist er als John Wayne! So nennt ihn der Regisseur Raoul Walsh, als er 1930 die Hauptrolle im Film "Der große Treck" mit ihm besetzt. Von da an bis zu seinem Tod 1979 wird John Wayne das Genre des Westerns prägen, er wird gewissermaßen zu einer Ikone des amerikanischen Films, die, was ihre Bedeutung anbelangt, ohne Zweifel neben einer Marilyn Monroe steht.
John Wayne gibt in seinen Filmen eine bisweilen recht raubeinige Autoritätsfigur. Sie zeichnet sich aus durch die Erfahrung des Westerners, strategische Weitsicht, Uneigennützigkeit, Durchhaltevermögen und sieht das Ziel des eigenen Handelns immer klar vor Augen. In absoluter Konsequenz fasst John Waynes letzter Film "The Shootist" alle von ihm gespielten Helden in der Figur des J. B. Books zusammen. Die Filmfigur ist – wie auch ihr Darsteller selbst – an Krebs erkrankt dem Tod geweiht. Kurz nach den Dreharbeiten stirbt John Wayne, bei dem es im Laufe seiner Karriere immer schwieriger wurde zu unterscheiden, ob er in einer Rolle auftrat oder nicht.
Als respektvolle Verneigung vor dem Jubilar führt Markus Raab in seinem Beitrag als Synonym für den romantischen Helden im Western schlicht John Waynes Namen ein. Ein Kernthema des Spätwesterns liegt seiner Ansicht nach in dem Moment, "in dem sich Romantik und Kapitalismus treffen, in dem beide für einen Augenblick nebeneinanderstehen". Dies ist keineswegs ein harmloser Moment – "im Gegenteil: Der Spätwestern John Waynes zeigt ihn als Angriff. Das Kapitalistische wird das Romantische verdrängen." Vor solch konfliktgeladenem Hintergrund wird klar, dass der Westernheld – nicht recht zugehörig weder zur alten noch zur neuen Welt – zwischen den Fronten steht. Eine Versöhnung mit der Welt kann ihm nicht gelingen.
Als Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte taugt er bis heute allerdings bestens. Bei aller Trivialität strahlen die Grundmuster des Westerns noch immer aus in Bereiche der gesellschaftlichen Organisation und der Kultur. Dies gilt letztlich auch für die bildende Kunst. Die narrativen Strukturen und die Motive des Westerns faszinieren weiterhin: In den Filmen wird Neuland zivilisiert, es werden gesellschaftliche Ordnungen implementiert, Aufbrüche gewagt und Abenteuer bestanden. Verführerisch ist die fast naive Idee des Guten, dem kriminelle Machenschaften gegenüberstehen – im Sinne einer klassischen Schwarz-Weiß-Zeichnung. Hollywood-Regisseure wie John Ford oder Howard Hawks haben unsere Vorstellung von der weiten Landschaft, von Freiheit und Unabhängigkeit entscheidend bestimmt. Ihre Filme haben bis heute nichts an Faszination eingebüßt. Grund genug, der legendären Filmfigur bzw. dem Genre des Westerns eine umfangreiche Kunstausstellung zu widmen und den durch Hollywood geprägten Mythos aus der Perspektive der Gegenwartskunst von Neuem zu befragen.
Vorwort zum Katalog von Andreas Bauer/Konrad Bitterli
Brave Lonesome Cowboy
Der Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst
oder: John Wayne zum 100.Geburtstag
Herausgeber: Andreas Baur und Konrad Bitterli für die Galerien der Stadt Esslingen am Neckar und das Kunstmuseum St.Gallen
Gestaltung: Cora Steinbock; Redaktion: Andreas Baur
Texte: Sonia Amelio, Andreas Baur/Konrad Bitterli, Margrit Brehm, Edgar O’Hara, Lori Hersberger, Dietmar Koch, Peter Müller, Markus Raab, Kurt Scheel, Elsa Margarita Schwarz, Wolfgang von der Weppen
Übersetzung: Jeremy Gaines (d/e), Anne Litzbarski, Marta Diaz Piñoreba, Friedrich-Alexander Raab (esp/d)
Lektorat: Martina Buder
Fotonachweis: Uwe Seyl, Villa Merkel;
Bildbearbeitung: Cora Steinbock
Schrift: Berthold Imago, Stempel Garamond
Papier: LuxoSamt Offset 150 g/m2, Munken Lynx 130 g/m2
Druck und Buchbinderei: Druckerei zu Altenburg
Auflage: 2000 Exemplare
ISBN 978-3-939738-15-2