Häusliche Gewalt im Kinderbuch? Das norwegische Autoren-Duo Dahle/Nyhus holt die Kastanien wort- und bildintensiv aus dem Feuer eines brennenden Tabu-Themas. Ein kühnes Wagnis!
1.+4.+5. Die Story + coole Bilder und Wörter: „Papa haut, schreibt Boj. Ist das meine Schuld?, schreibt Boj. Liebe Grüße, Boj, schreibt Boj.” Und der Baum, chagallartig in geschwungener Form und blauer Farbe, jubelt: „Du hast es geschafft!” Und hebt Boj hoch, ganz hoch auf seine Schultern. Bäume machen das in der Regel nicht, es sind Erwachsene, die Kinder in Bojs Alter auf die Schulter heben, damit ein Hochgefühl entsteht. Aber sein Vater macht Boj klein, ganz klein, so klein, dass er sich hinter seinen Spielsachen wegduckt, unter der Tischdecke verschwindet und ihm die Beine zittern. Vater hat wieder einen Anfall gehabt: Die Welt liegt in Scherben, Bösemann hat Papa ausgebrannt. Zurück bleiben „Ruß und Asche. Grauer Ruß und graue Asche. Grau und Ruß und Asche.” Jetzt hat sich Bösemann zurückgezogen, den Brand löschen die Tränen des Vaters: Papa „weint und weint. Man kann unter Wasser nichts sehen. Das salzige Meer ist schwarz und viele, viele hundert Meter tiefer als tief.” Einsicht ergibt sich daraus nicht.
2. Der Held: Und wo bleibt Boj? Der geht nach draußen. „Die Worte drücken, pressen und hämmern” in ihm. Mitteilen kann er sich nur einem Hund, denn der hat „große, weiche Ohren”. Und dort draußen entsteht die Idee mit dem Brief. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, hat ein großer Philosoph gesagt. Aber noch besser ist: Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man schreiben. Und genau das macht Boj (und die AutorInnen). Das heißt: Vielleicht macht er gar nicht genau das, sondern hat gezeichnet und gemalt - Vierjährige schreiben in der Regel ja noch nicht. Jedenfalls: Die Botschaft ist angekommen. „Alle Türen stehen weit offen. Sonne, Atem und Wind im Haar. Sterne im Mund.”
3.+6. Der Sound + zum Nachdenken: „Gut gemacht, Boj, sagt der König und bedankt sich für den Brief. Und der König trägt eine große Krone. Denn nur der König ist der König.” - „Verzeih mir, Boj, sagt Papa. Das ist nicht deine Schuld, sagt Papa. Das ist meine Schuld.”
7. Die AutorInnen: Gro Dahle, Autorin, Lyrikerin und Schreibpädagogin, wuchtet das Drama lakonisch und expressiv auf die Bühne des Lebens. Das ist bedrohlich und brutal, man erfasst aber sofort, worum es geht. Das gilt auch für Svein Nyhus’ Illustrationen, die das Geschehen in rüdem Strich schildern, zuerst bedrohlich, dann traurig, am Ende fröhlich.
8. Das Buch: Gro Dahle, Svein Nyhus: Bösemann. Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt. Zürich: NordSüd Verlag 2019, 42 Seiten, EUR 18,50