Böse Dinge

Das Gewerbemuseum Winterthur widmet sich in einer grossangelegten Ausstellung Fragen nach dem Wandel von ästhetischen und qualitativen Bewertungskategorien und den Positionen und Diskussionen, welche den Geschmackskanon jeweils prägen. Einst war das Ornament verpönt und die Form war gut, heute stellen sich die Fragen neu. Bad Taste und Kitsch sind Kult, Provokation ist Kalkül und die "Bösartigkeit" der Dinge lässt sich nicht mehr so eindeutig benennen.

Gute Form, böse Form: Zu Zeiten der alten Gewerbemuseen war Geschmacksbildung hoch im Kurs: "Wollen wir erkennen, worin der gute Geschmack besteht, müssen wir zuerst den schlechten Geschmack beseitigen." Mit diesem Ziel eröffnete Gustav E. Pazaurek 1909 seine berühmte "Abteilung der Geschmacksverirrungen" im Stuttgarter Landesgewerbemuseum. Was schlecht war, wurde mit strafrechtlichen Kategorien benannt und mit missionarischem Eifer bekämpft. Adolf Loos geisselte das Ornament als Verbrechen; Werkbund und Bauhaus handelten aus diesem Geist. Heute, im Zeitalter des Stilpluralismus, ist das komplizierter. Bad Taste und Kitsch sind Kult, Provokation ist Kalkül. Die "Bösartigkeit", sprich Schlechtigkeit der Dinge lässt sich nicht mehr so eindeutig sichten und benennen, da sie sich nicht mehr im Gegenstand – seiner Konstruktion, seinem Material oder Dekor – allein entlarvt.

Die Ausstellung setzt sich – kritisch und ironisch zugleich – mit Bewertungskategorien und ihrem Wandel auseinander und thematisiert neue Kriterien im Kontext veränderter sozialer, ökonomischer und ökologischer Bedingungen. Entwickelt wurde sie vom Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin und dort mit grossem Erfolg gezeigt. In Winterthur wird die Ausstellung durch Fallbeispiele erweitert, die auch der Produktkultur in der Schweiz Rechnung tragen, unter anderem dem Gütesiegel des Schweizer Werkbundes "die gute Form"oder dem "Heimatstil". Im Nebeneinander und Gegeneinander zeigt die Ausstellung Positionen auf, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts gelebt, verteidigt und verdammt wurden: Üppig oder schlicht? Vorwärts oder rückwärts? Modern oder modisch? Ironisch oder moralisch? Industrielle Massenware oder handwerkliches Einzelstück?

Auf die aktuelle Unübersichtlichkeit und Opulenz des Allzuvielen reagieren heute verschiedene Tendenzen – so der Trend zur neuen Einfachheit, Open Source Design oder DIY (Do-it-yourself) aber auch die Abgrenzung von der Massenkultur durch das luxuriöse Einzelstück oder die Rückbesinnung auf die "guten alten Dinge". Letztlich geht es auch um die Entwicklung von Strategien und Haltungen angesichts beschränkter Ressourcen und eines weltumspannenden Austausches von Waren und Informationen. Designer/innen, Produzenten, Designkritiker und -vermittler beziehen Stellung: Wie stellen sie sich zur aktuellen Güterkultur des Überflusses? Welches sind ihre Strategien, ihre Herausforderungen? Braucht es eine neue Optik, gar ein neues Regelwerk? Ihre Statements werden in einer Videoinstallation gezeigt und bilden mit Zitaten von Protagonisten aus verschiedenen Zeiten das gedankliche Rückgrat der Ausstellung.

Böse Dinge. Positionen des (Un)geschmacks
Kooperation mit dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin
16. Januar bis 31. Juli 2011