Böse Absichten können gute Resultate hervorbringen

29. Dezember 2009
Bildteil

Die Zürcher Galerie Stephan Witschi präsentiert derzeit Papierarbeiten und Skulpturen des 1958 geborenen schweizerischen Künstlers Karl Hebeisen, den seine Freunde Edi nennen. Seiner relativ späten Ausbildung zum Bildhauer gingen "wilde" Jahre voraus, in denen Karl Hebeisen im anarchischen Klima der Subkultur agierte. Man ging an Konzerte und Demos und tauchte an Kellerpartys ab.

Zeitweise spielte Hebeisen als Bassist in einer kurzlebigen Zürcher Punkformation, und Lena, seine spätere Frau und Mutter zweier Söhne, war Sängerin und Gitarristin in einer Band. Noch heute hängt als pièce de résistance ein Foto von Henry Rollins, dem Sänger von "Black Flag", einer Kultband des US-Hardcore aus den frühen 1980er Jahren, in ihrer Wohnung. Mit Künstlerfreunden wie Andreas Hofer, Claudio Conte und Pietro Mattioli besuchte und diskutierte Hebeisen, den seine Freunde Edi nennen, Veranstaltungen der Gegenkultur und Ausstellungen der offiziellen Museen.

Noch während seiner Ausbildung (1986-88) an der Bildhauerfachklasse der Schule für Gestaltung in Basel konnte er in Zürich zwei alte Garagen am Letzigraben ausfindig machen, die ihm bis 1994 als Werkplatz dienten. Neben Arbeiten auf Papier entstanden hier erste Steinskulpturen, wie etwa eine kopfartige Figur aus hellem Granit; der Stein war ein Reststück der monumentalen, hammerartigen Skulptur von Josef Wyss, die der bekannte Zürcher Steinbildhauer Mitte der 1980er Jahre beim Römerhof, im Zürcher Stadtquartier Hottingen, platzierte.

Hebeisen verweist auf "Entertainment" (1987) als seine erste wichtige Arbeit. Es handelt sich ursprünglich um eine Seite aus einem Musikmagazin, die mit schwarzer Oelkreide so übermalt wurde, dass nur der oberste Rubriktitel sichtbar blieb. Diese ebenso einfache wie radikale Arbeit erscheint rückblickend als Statement und Auftakt seines künstlerischen Werdeganges, mit dem er sich von den Praktiken der Medienindustrie und den Eitelkeiten des Kunstmarktes absetzt.

Hebeisens zeichnerisches und malerisches Werk reflektiert auf vielfältigste Weise ästhetische Positionen der Postmoderne und der Populärkultur. Seine bildhauerischen Arbeiten der 1990er Jahre charakterisieren experimentelle Materialkombinationen und eine narrative Programmatik. Damit nimmt er den künstlerischen Zeitgeist der Postmoderne mit ihren Tendenzen zu Crossover und Gattungsüberschreitungen auf.

Manchmal ist es das Material, das bestimmte Formideen provoziert. Tuff, das poröse Gestein aus dem Meer, gab den Werkstoff her für die fünf Scheibenkörper, die mit ihren weichen Rundformen an übergrosse, aneinander gestellte "Chäslaiber" erinnern. Mögen dies spezifisch helvetische Assoziationen sein – der Werktitel "Onde" verweist auf das Meer. Den Tuffrohling von der Adria erstand er von einem Steinhändler in Flawil, der ihn auf fünf physisch noch handbare Quader zuschnitt. Die endgültige Skulptur wurde dann auf dem Werkplatz mit der Steinaxt herausgearbeitet.

Die "Orgel", ein Hauptwerk seines reifen bildhauerischen Schaffens (2004), strukturiert sich aus einer gestaffelten Vierer-Reihe von mehr als einem Dutzend "Pfeifen". Ihre Oberfläche wirkt schrundig wie dicke Eichenäste und sie rhythmisieren den Stein durch die rückwärtige Staffelung der Vierer-Formation und ihre unterschiedliche Länge. Die Pfeifenreihen verlaufen nicht vertikal, sondern sind um 90 Grad in eine leichtabfallende Horizontale gekippt, als gelte es, die skulpturale Autonomie des Werkes vorallzu voreiliger gegenständlicher Zuordnung herauszustellen.

2005/06 realisierte Hebeisen ein "handartiges" Skulpturenpaar aus weissem Kalkstein, das im Hof vor der Ziegelmauer auf Augenhöhe an zwei dünnen Stahlseilen aufgehängt, im Raume zu schweben scheinen. "Wie Bergsteiger, die in der Wand hängen", kommentiert der Künstler lakonisch die beiden Skulpturen, die sich auch im Winde bewegen können.

2008 ist alles anders geworden. Die Krankheit ALS durchdringt zunehmend Karl Hebeisens Körper und Lebensumstände. Eine kleine Papierarbeit, die schon früher entstanden ist, ungemein eindringlich, von berührender Intensität, abgerungen der Verzweiflung. Körper und Raum sind vom dunkeltonigen Grund umfangen. Das bleiche Gesicht und die eingebundenen Hände sind von blauen und roten Schmerzlinien überzogen. Auf dennoch freien, hellen Partien des rechten Bildraumes erscheint in ungelenken Buchstabendas Wort "Disaster". In seiner Metaphorik erscheint das Werk vergleichbar mit den düsteren, aufgewühlten Bildern, die der Maler, Dichter und Filmer Derek Jarman in den letzten Jahren seiner schweren Erkrankung schuf.

Jetzt werden wohl keine Werke mehr von Edis Hand entstehen. Was bleibt sind die Gewissheit und der Trost, einen substantiellen Beitrag zum künstlerischen Schaffen seiner Generation geschaffen zu haben. Und nicht zuletzt, dass etwas überdauert, was über das eigene Selbst hinausweist und von anderen zur Kenntnis genommen wird. Volker Schunk

Edi (Karl) Hebeisen
- Papierarbeiten und Skulpturen
Bis 9. Jänner 2010
Galerie Stephan Witschi, Zürich
Mi bis Fr 14 - 18 Uhr
Samstag 13 - 17 Uhr