Vom 16. Mai bis zum 9. September 2007 präsentiert die Wiener Albertina in der Ausstellung »Blicke, Passanten - 1930 bis heute« rund 250 Fotografien aus der eigenen Sammlung, die das Spektrum an modernen Neuerwerbungen seit 1999 sichtbar machen.
Fotografien wurden in der Albertina schon vor 150 Jahren gesammelt, in konsequenter Fortführung und Modernisierung des Schwerpunktes Reproduktionsgraphik. Im Jahr 1999 wurde ein eigener wissenschaftlicher Bereich dafür geschaffen. Seitdem konnte die Sammlung um umfangreiche Bestände erweitert werden. Vor allem dank der Unterstützung privater Förderer kam es zu zahlreichen Neuerwerbungen um mehr als 1,5 Millionen Euro – ein in Österreich für historische Fotografie noch nie aufgewendeter Betrag.
Janos Frecot, der frühere Leiter der Fotosammlung der Berlinischen Galerie, hat nun aus diesen Neuerwerbungen eine Auswahl getroffen und die Fotografien – auf unterschiedliche Positionen Bezug nehmend – in der Ausstellung »Blicke, Passanten - 1930 bis heute« zusammengefasst. Er verzichtet bewusst darauf, die historische und geografische Identität der Bilder kategorisch zu trennen und präsentiert Werke von »Künstlern«, ebenso wie von »Autorenfotografen« oder von »Fotojournalisten« gleichwertig nebeneinander. Dadurch ermöglicht er dem Betrachter, in vielfältigste Welten einzutauchen und offene, individuelle Geschichten aus und über Fotografien zu entwickeln.
Wie nahezu immer in der Fotografie, spielt auch in dieser Ausstellung der Faktor Zeit eine bedeutende Rolle: Während die blitzartig aus dem Kontinuum der Zeit herausgeschnittene Kurzzeitbelichtung den angehaltenen Moment wie erstarrt, versteinert, verzaubert festhält, werden in Langzeitbelichtungen die Prozesse der Veränderung im Sammeln von Zeit und Licht sichtbar. Wirklichkeitsfragmenten, die im wahrsten Sinne das Verfliegen der Zeit dokumentieren, stehen zeitlos wirkende Fotografien gegenüber.
So können einerseits die kleinsten Gesten – die zufällig oder geplant zustande gekommen sind - wie auch flüchtige Schatten oder Buchstaben an Hauswänden eine große Rolle für das Foto spielen. Andererseits werden prozesshaft entstandene Formen zum Bildgegenstand – die Falten der Haut, die Schrunden und Risse der Gletscher wirken unvergänglich und könnten ebenso heute wie vor hundert Jahren aufgenommen worden sein. Gegensätze sind bei den ausgestellten Fotografien allgegenwärtig. Die Grenzen zwischen Dokument und Fiktion sind stets fließend. Die Bilder bieten die Möglichkeit, ins Surreale abzugleiten oder Ankerpunkte in der Realität zu finden.
Das Spektrum der Ausstellung reicht von lebensfroher Stadt- und Straßenfotografie, die in den Bildern von Bogdan Dziworski etwa die Gesten und Gesichter von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt stellt, bis zu Arbeiten der Architekturfotografie, welche mit Werken von Julius Shulman die Form, die Struktur und die Materialität eines Bauwerks zum Gegenstand hat. Dazwischen liegen Arbeiten, die auf höchst unterschiedliche Art überzeugen: Streng konzeptuelle Arbeiten von Jitka Hanzlová zeigen die Peripherie der Stadt und geben der zunehmenden Vereinsamung ihren Ausdruck.
Die Fotografien von Lisette Model und Lee Friedlander führen in eine Welt der visuellen Experimente aus Licht-, Spiegel- und Schatteneffekten. Sie weisen zugleich auf eine andere Seite der Stadt hin: eine uneindeutige, irreale, gefahrvolle, in der man sich unversehens verlieren kann. Daidō Moryamas Aufnahmen von Tokio beleuchten die Stadt bei Nacht und spielen virtuos mit bestimmten Vorstellungen, die wir mit uns herumtragen: Träume, Erinnerungen, Ängste werden in den Bildern durch Gesten und Haltungen aktiviert und an den Betrachter übermittelt.
Blicke, Passanten - 1930 bis heute
Aus der Fotosammlung der Albertina
16. Mai bis zum 9. September 2007