Biopics – Lebensgeschichten im Film

25. August 2014 Walter Gasperi
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Filmische Biographien berühmter Persönlichkeiten boomen im Kino seit etwa einem Jahrzehnt wie nie zuvor. – Ein kurzer Einblick in die Geschichte des Biopics, in unterschiedliche Intentionen und Probleme des Genres sowie Mutmaßungen über mögliche Gründe für das Interesse an "wahren Geschichten" und "tatsächlich gelebtem Leben".

Fürstin Gracia Patricia von Monaco ("Grace of Monaco") und Lady Diana ("Diana"), der französische Modeschöpfer Yves Saint-Laurent ("Yves Saint-Laurent" und "Saint Laurent") und die Karriere der Band "The Four Seasons" ("Jersey Boys"), die feministische Schriftstellerin Violette Leduc ("Violette") und der Opernsänger Paul Potts ("One Chance"), der aidskranke Cowboy Ron Woodroof ("Dallas Buyers Club") und der Banker Jordan Belfort ("The Wolf of Wall Street"), der Entertainer Liberace ("Liberace") und der afroamerikanische Butler Cecil Gaines ("The Butler"). - Das ist nur ein Auszug aus der Liste der Filmbiographien, die im letzten Jahr ins Kino kamen. Seit etwa einem Jahrzehnt boomt dieses Genre wie nie zuvor in der Filmgeschichte, neu ist das Interesse von Filmemachern und Zuschauern für Lebensbeschreibungen bedeutender Persönlichkeiten freilich nicht.

Die Intentionen waren und sind dabei unterschiedlich, gemeinsam ist diesen Filmen, dass sie versuchen dem Zuschauer einen Einblick ins Privatleben der porträtierten Person zu bieten und dadurch den Künstler oder Politiker, den Wissenschaftler oder Sportler auf Augenhöhe mit dem Zuschauer zu holen und zum Menschen wie du und ich zu machen. Gleichzeitig wird er durch die Darstellung seiner Leistung aber wieder überhöht, wird zum tragisch scheiternden Mythos, zum Vorbild oder zur Legende erhoben.

Je nach Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe lassen sich dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen feststellen. Die verfilmten Lebensläufe von Ärzten und Forschern, die in den 1930er und 1940er Jahren des letzten Jahrhunderts in Hollywood ("The Story of Louis Pasteur", William Dieterle, 1936; "Dr. Ehrlich"s Magic Bullet - Paul Ehrlich – Ein Leben für die Forschung", William Dieterle, 1940; "Young Tom Edison", Norman Taurog, 1940; "Edison, the Man", Clarence Brown, 1940) beliebt waren, stellen beispielsweise den Verzicht auf ein Privatleben zum Wohle der Menschen und der Wissenschaft in den Mittelpunkt.

In Künstlerbiographien werden dagegen vielfach gesellschaftliche Ausgrenzung und Verachtung, Einsamkeit und Armut dem postumen Nachruhm gegenübergestellt. Berühmteste Beispiele dafür sind Vincente Minnellis Van Gogh Biopic "Lust for Life" (1956) oder John Hustons Lebensbild des Malers Toulouse Lautrec in "Moulin Rouge" (1952).

Neue Impulse gaben dem Künstlerfilm in den 1970er und 1980er Jahren die Briten Ken Russell und Derek Jarman. Während Russell die inneren Konflikte und Ängste der sich am Rande der Gesellschaft bewegenden Komponisten in bildgewaltige Szenen umsetzte ("Tschaikowsky", 1970; "Mahler", 1974; "Lisztomania", 1975), versuchte Jarman in "Caravaggio" (1986) formal unkonventionell anhand einer fatalen Liebesgeschichte die Wechselwirkung zwischen Eros und Kunst zu beleuchten.

Mit der Darstellung von Herrschern und Politikern werden wiederum vielfach nationale Interessen verfolgt. Zum Übermenschen wird Napoleon in Abel Gances monumentalem Stummfilm ("Napoleon", 1927) hochstilisiert, als mustergültigen amerikanischen Politiker und Verfechter der Demokratie stellt John Ford Abraham Lincoln dar ("Young Mr Lincoln", 1939), während Steven Spielberg auf dessen - weniger humanistisch als vielmehr pragmatisch motiviertem - Kampf gegen die Sklaverei fokussiert ("Lincoln", 2012).

Der Paradestaatsmann für das nationalsozialistische Deutschland war wiederum der Preußenkönig Friedrich II., der "den ihm aufgezwungenen Siebenjährigen Krieg" verabscheut und größtes Mitgefühl mit dem leidenden Volk hat ("Der große König"; Veit Harlan, 1942). Problemlos konnte das historische Geschehen auf die Gegenwart übertragen werden und Friedrich wurde gezielt in Analogie zu Hitler gesetzt.

Diesem Propagandafilm, der Einheit, Leidensbereitschaft und Durchhaltevermögen des Volkes stärken sollte, steht der Feindbildaufbau in dem ebenfalls als Biopic angelegten "Jud Süß" (Veit Harlan, 1940) gegenüber. Anderseits kann eine historische Biographie gerade in einem totalitären Staat auch zur Regimekritik genutzt werden. Beispiele dafür sind Andrej Tarkowskijs Epos über den mittelalterlichen Ikonenmaler "Andrej Rubljow" (1966-68) oder Konrad Wolfs "Goya" (1971).

In jüngerer Zeiten wurden dagegen vor allem humanistisch eingestellte Politiker, die gegen ein ungerechtes Regime kämpften, wie Gandhi ("Gandhi"; Richard Attenborough, 1982), der südafrikanische Apartheidgegner Steve Biko („Cry Freedom", Richard Attenborough, 1987) oder der Führer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Malcolm X ("Malcolm X"; Spike Lee, 1992) für die filmische Darstellung ausgewählt.

Ziel dieser Biopics war nicht nur die Porträtierten einem Massenpublikum bekannt zu machen, sondern sie diesem auch als Vorbilder zu präsentieren und auch das Publikum zu Engagement für die Menschenrechte und gegen Unterdrückung zu motivieren.

Mit dem Interesse des Publikums für Exotisches spekulieren wiederum Porträts antiker Persönlichkeiten wie Alexander der Große (Robert Rossen, 1956; Oliver Stone, 2004) oder Kleopatra (vier Stummfilme; Cecil B. DeMille, 1934; Joseph L. Mankiewicz, 1962; Frank Roddam, 1999).

Private Liebesgeschichten und Schicksalsschläge werden dagegen bei zahlreichen Biopics über europäische Könige und Königinnen in den Mittelpunkt gerückt, während die politische Dimension des jeweiligen Herrschers dabei vielfach ausgeklammert bleibt. Bei Alexander Kordas "The Private Life of Henry VIII" (1933) kommt das schon im Titel zum Ausdruck und auch Rouben Mamoulians "Queen Christina" (1934) oder Ernst Marischkas "Sissi"-Trilogie (1954-1957) konzentrieren sich auf das persönliche Schicksal einer an ihrer Rolle leidenden oder sogar zerbrechenden Herrscherin.

In den Sportlerfilmen wiederum wird zumeist Durchhaltevermögen gefeiert. Sowohl in der mehrfach verfilmten Lebensgeschichte des Baseballspielers George Herman ´Babe´ Ruth ("The Babe Ruth Story", Roy del Ruth, 1948; "Babe Ruth", Mark Tinker, 1991; "The Babe", Arthur Hiller, 1992) als auch in Robert Wises Boxerbiographie "Somebody Up There Likes Me" (1956) geht es darum, dass die Sportler Entbehrungen, Enttäuschungen und hartes Training auf sich nehmen, auch Schicksalsschläge erleben, schließlich aber den verdienten Lohn für die Mühen ernten.

Speziell im Boxerfilm werden diese Tugenden immer wieder gepriesen und auch als einziger Weg aus der Gosse dargestellt. Gebrochen wird mit diesem Erfolgsmythos freilich in Martin Scorseses "Raging Bull" (1980). Die Kämpferqualitäten mögen Jake La Motta zwar zum Weltmeistertitel führen, doch menschlich verliert er alles, degeneriert durchs Boxen förmlich zum Tier.

Aber das Biopic eignet sich auch bestens, um an der Reaktion der Gesellschaft auf die Taten und Aussagen eines Individuums Kritik an Konservativismus, Prüderie und Heuchelei zu üben. Bill Condons Porträt des homosexuellen Filmregisseurs James Whale in "Gods and Monsters" (1998) oder sein Film über den Sexualforscher Alfred Kinsey ("Kinsey", 2004), aber auch "Larry Flint" (1996), in dem Milos Foreman sich dem Herausgeber der Männermagazins Hustler und Penthouse widmet, oder Bob Fosses Porträt des gesellschaftskritischen Entertainers Lenny Bruce ("Lenny", 1974) zeigen plastisch diese Reibungen auf.

Das Problem bei Biopics ist dabei vielfach, dass sich ein Leben nicht in einen zweistündigen Film pressen lässt. Ins Anekdotische und Episodenhafte gleiten deshalb die Filme ab, die sich nicht auf einen Aspekt oder einen Lebensabschnitt konzentrierten, die statt zu raffen und zu verdichten, chronologisch die Lebensstationen abhaken. Eric Till in "Luther" (2003) und Julie Taymor in "Frida" (2002) treten ebenso in diese Falle wie - trotz der Kürze des beleuchteten Zeitraums - Walter Salles in "Motorcycle Diaries" (2004), während sich Martin Scorsese sowohl in "Raging Bull" als auch in seinem Howard-Hughes-Film "Aviator" (2004) auf das Psychogramm des Porträtierten konzentriert und nur entscheidende Lebenssituationen auswählt.

Diese Beschränkung kennzeichnet auch Scott Hicks "Shine"(1996) oder Oliver Stones "Nixon" (1995), in denen das Verhalten der Protagonisten, des australischen Pianisten David Helfgott einerseits und des US-Präsidenten andererseits, ganz aus ihrer familiären Situation heraus erklärt wird.

So vereinfachend und damit auch verfälschend diese Darstellung jeweils sein mag, so überzeugend ist das Resultat. Denn während durch ein bloßes Abhaken von Lebensdaten nur blasse Scheinobjektivität und Scheinauthentizität geschaffen werden, gelingt es durch Reduktion auf einen Aspekt einen plastischen und ambivalenten Charakter zu zeichnen und gerade dadurch, dass sich die Regisseure künstlerische Freiheiten erlauben, sich von der Realität entfernen und die historische Persönlichkeit fiktionalisieren, einen tieferen Einblick in deren Psyche zu gewähren.

Problematisch wird es freilich wenn das dargestellte Leben bewusst geglättet oder verfälscht wird, um es mainstreamtauglich zu machen. So werden beispielsweise in "A Beautiful Mind" (2001) die verschiedenen Ehen des Mathematikers John Forbes Nashs ebenso unterschlagen wie seine Homosexualität und seine antisemitischen Ansichten und der laxe Umgang mit historischen Fakten soll den Boxerfilm "Hurricane" (Norman Jewison, 1999) aller Oscar-Chancen beraubt haben.

Wie aber lässt sich das gegenwärtig ungewöhnlich starke Interesse an Biopics erklären? Nur Spekulationen sind hier möglich, nahe liegend scheint aber, dass ein gesteigertes Interesse des Publikums an der Wirklichkeit, das sich auch in der Blüte des Dokumentarfilms und in der intensiveren Auseinandersetzung mit der Realität zumindest im europäischen Kino äußert, auch zu einer größeren Nachfrage nach der filmischen Aufarbeitung von "tatsächlich gelebtem Leben" führt.

Andererseits lässt dieser Boom auch auf ein Fehlen von Visionen und einen rückwärts gewandten Blick schließen. Statt sich auf die Zukunft hin zu orientieren, blickt man zurück und sieht in historischen Biographien ein Beispiel, verwendet sie als positives Vorbild oder abschreckende Mahnung. Gleichzeitig lassen diese Biopics aber auch den Zuschauer sich mit seinem eigenen Schicksal und Leben abfinden, indem sie die Opfer, die Berühmtheit und Erfolg fordern, aufzeigen, das Scheitern im Privatleben thematisieren und so die porträtierte Person zumindest teilweise ihres Glanzes berauben, ja manchmal sogar bedauernswert erscheinen lassen.

Trailer zu Derek Jarmans "Caravaggio"