Bilanz des 40. Filmfestival Max-Ophüls-Preis

23. Januar 2019
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Mit dem Max-Ophüls-Preis wurde heuer Susanne Heinrichs Spielfilmdebüt "Das melancholische Mädchen" ausgezeichnet. Mehrere Preise gingen aber auch an österreichische Filme

Der Publikumspreis ging an die turbulente österreichische Komödie "Kaviar". Im Mittelpunkt steht dabei ein russischer Oligarchen und dessen Versuch mit hohen Bestechungssummen auf der Schwedenbrücke in Wien eine Villa im Stile Hundertwassers zu errichten (Vorbild: Ponte Vecchio in Florenz). Klaus, der umtriebige Ehemann von Nadjas bester Freundin Vera bekommt gleich mal drei Millionen Euro, um einen Stadtrat zu schmieren, der eigentlich immer schon den Donaukanal sanieren wollte.

Die Regisseurin mit russischem Immigrationshintergrund kennt inzwischen sowohl die russische als auch die österreichische Mentalität und nimmt beide auf die Schippe. Ein filmischer Einfall folgt dem nächsten und garantiert so pausenlose Lachsalven.

Der Preis der Jugendjury und der Preis für den besten männlichen Nachwuchsdarsteller ging an Gregor Schmidingers "Nevrland" und dessen Hauptdarsteller Simon Frühwirth: Jakob sucht im Internet seine Sexpartner und stößt auf den Kunststudenten Kristjan. Er arbeitet mit seinem Vater (Josef Hader) in einem Schlachthof, bis er wegen einer Angststörung zusammenbricht und neben Psychopharmaka auch eine Psychotherapie erhält.

Als er eines Tages bei Kristjan halluzinogene Drogen zu sich nimmt, verstärken sich, wenn auch verspätet, seine psychischen Probleme dramatisch. Schmidinger wollte die Angststörung in den Mittelpunkt des Filmes stellen, da sie eine der häufigsten psychischen Erkrankungen sei. Er versucht dies mit blitzartigen Rückblenden und schriller Technomusik darzustellen, auch etwas Einblick in die Therapie wird angeboten.

Als beste Nachwuchsdarstellerinnen wurde Joy Alphonsus für ihre Rolle in "Joy" ausgezeichnet, der auch den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film gewann.

Fast mehr Dokumentarfilm als Spielfilm zeigt "Joy" den massiven und mehrfachen Druck, der auf die nigerianischen Prostituierten in Wien ausgeübt wird: da ist erstmal Jiji, ein Geisterkult in Nigeria, bei dem die Migrationswilligen schwören müssen, das Geld für die Reise nach Europa zurückzuzahlen, sonst passiere ihnen oder ihren Familienangehörigen etwas; dann der Druck der "Madame", welche die jungen Frauen für 20.000 – 30.000 € kaufen und die diese Summe abarbeiten müssen, so kommen schon mal 60.000 € Schulden als "Startkapital" zusammen. Von Zuhause bekommen sie Fake-Nachrichten von kranken Familienangehörigen, für deren Behandlung man sofort viel Geld brauche. Und gibt es mal einen Hoffnungsschimmer durch einen netten und großzügigen Freier, so wird durch eben solche Geldforderungen diese Beziehung rasch zerstört; auch NGO´s mischen sich ein, ohne Garantien geben zu können, dass sie später Asyl erhalten wird.

Ein Film, der zwar keinen Voyeurismus erlaubt, aber von den Argumenten her eher den Rechten in die Hände spielt. Wer den Film gesehen hat, wird kaum noch Mitleid für diese Frauen empfinden, die Opfer und Täterinnen zugleich sind. Die größte Ausbeutung kommt weder vom "Markt" auf dem Strich und schon gar nicht den Freiern, sondern von den mafiösen Netzwerken, welche die Nigerianer selbst aufgebaut haben, man fängt als Sklavin an und wird später selbst zur Sklavenhalterin.

Auch Genre Filme gab es dieses Jahr wieder, etwa "Endzeit". Der optisch anspruchsvolle Film handelt von einer Seuche, die bis auf Weimar und Jena wohl die ganze Welt betroffen hat. Von Zäunen und mit Schießbefehl geschützt, sind die beiden Städte nur durch eine selbstfahrende Eisenbahn miteinander verbunden, die durch das Zombieland führt. Vivi und Eva flüchten verbotenerweise in diesem Zug. Als dieser auf offener Strecke stehen bleibt, sind sie den Untoten ausgeliefert. Doch nicht alle sind aggressiv und böse – die Gärtnerin etwa, der Pflanzen aus dem Kopf wachsen, ist dabei ein neues Paradies aufzubauen, alle möglichen Tiere und Pflanzen leben und gedeihen hier bestens. Doch sind Vivi und Eva etwa schon selber infiziert? Überraschend kreative und spannende Produktion um die Apokalypse der Menschheit, "der Planet befreit sich von jenem Gast, der die Miete nicht bezahlt hat".

"Das letzte Land" ist ein mit einfachsten Mitteln und minimalstem Budget von nur 20.000 Euro gedrehter, gleichwohl spannender Science-Fiction-Film im Stile der 60er oder 70er Jahre: Adam, ein aus einem Gefängnis geflohener Sträfling und Novak, der ihn jagen sollte und desertierte, treffen sich in einem schrottreifen Raumschiff. Sie haben eines gemeinsam: sie wollen weg von diesem lebensfeindlichen Wüstenplanten. Gemeinsam schaffen sie es, das alte Raumschiff wieder ins All zu bringen, doch wohin soll die Reise gehen?

Man merkt, dass Marcel Barion wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Universität ist. Zusammen mit dem Kameramann und ohne Computeranimationen schuf er einen beachtlichen "Hand Made"-Film – aus Elektroschrott und mit zwei Schauspielern.

Der Schweizer Film Cronofobia gewann den Regie- und den Drehbuchpreis: Michael ist Mystery-Shopper, überprüft im Auftrag einer mysteriösen Chefin die Serviceleistung von Betrieben. Er beobachtet in der Freizeit von seinem Wohnmobil aus Anna, eine eigenwillige Frau, die die Türe nicht öffnet, auch ihre Eltern nicht ins Haus lässt, die joggt und dann laut schreit, wenn ein Zug vorbeidonnert. Als sie sich in Eiseskälte aussperrt, nimmt sie sein Angebot an, in sein Auto zu kommen, wo sie gleich einschläft. Zwischen den beiden Wortkargen entwickelt sich langsam eine eigenartige Beziehung, jedoch ohne direkten Sex. Als er entdeckt, dass sie Witwe ist und er versucht in die Rolle ihres verstorbenen Mannes zu schlüpfen, kommt Bewegung in die Gefühle.

In der Bildsprache spielen Architektur und vertikale und horizonatale Linien eine Bedeutung, etwa wenn er Wohnungen ansieht oder in Diner Bars möglichst anonym bleiben will. Ein Film, der die Spannung aus kleinen Details bezieht.

Der Hauptpreis ging an "Das melancholische Mädchen": "Mit ironischer Genauigkeit und humoriger Schlagfertigkeit trifft der Film in seiner Übersetzung feministischer Theorien pausenlos den Nagel auf den Kopf. Ein Film, dem es endlich gelingt, eine Sprache für eine ganze Generation von traurigen Mädchen zu finden..." begründete die Jury ihre Entscheidung. Ein Film, der die Zuseher polarisierte.

Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging an "Hi, A.I.": Wieweit kann künstliche Intelligenz menschliche Kontakte ersetzen, wann kann ein Roboter Demenzkranke betreuen? Werden diese Humanoiden bald so täuschend echt sein, dass wir uns in sie verlieben können? - Das sind die Fragen, welche der Film zu beantworten versucht. Es geht vor allem um die Bedeutung des Aussehens des Roboters: je menschenähnlicher es ist, desto eher entwickeln die Menschen auch Gefühle zu diesem Apparat. Wir sehen eine alte japanische Frau, die sich mit einem solchen Roboter unterhalten soll, doch er spricht ihr noch zu wenig gut japanisch. Ein einsamer Amerikaner nimmt eine sehr echt aussehende Puppe mit auf seine langen Reisen in seinem Wohnmobil. Seine virtuelle Freundin kann den Kopf bewegen, mit den Augen zwinkern und ihm Komplimente machen. Fragen wie "liebst du mich" steht sie aber eher ratlos gegenüber. In einem Info-Center beantwortet eine Roboterdame die gängigsten Fragen und führt Präsentationen vor. Die hier gezeigten Modelle sind auf Sprechen programmiert, Haus- oder Pflegearbeiten nehmen sie keine ab; im Gegenteil, sie brauchen durchaus ihre Pflege. Die Experten für künstliche Intelligenz meinen, man werde bald auch so etwas wie Bewusstsein programmieren können. Dann würden diese Maschinen auch eigene Wünsche und Bedürfnisse entwickeln, dafür aber den Menschen besser verstehen können.

Stimmig fotografiert, mit einer hypnotischen Musik unterlegt, ist der Doc durchaus reizvoll, umso mehr er nur einen kleinen Teilaspekt der künstlichen Intelligenz behandelt und sich nicht verzettelt. Norbert Fink