Auf der Grenze

Es liegt in der Tradition des Aargauer Kunsthauses gerade auch jenen künstlerischen Positionen Aufmerksamkeit zu schenken, die fernab der Avantgarden oder des Kunstmarktes agieren. Vielfach sind dies Künstlerinnen und Künstler, deren Werk sich durch eine bestimmte "Innerlichkeit" auszeichnet. Diesen Positionen ist die Ausstellung "Auf der Grenze gewidmet", die neben Werken aus der Sammlung einen speziellen Fokus auf die Arbeiten von Gertrud Debrunner (1902–2000) legt. In ihnen veranschaulicht sich die Thematik der Ausstellung geradezu beispielhaft.

Die Ausstellung bringt Werke von Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlichster Generationen zusammen. Ihnen gemein ist das Bestreben, mit der Kunst dem persönlichen Seelenleben Ausdruck zu verleihen und damit Innen- und Aussenwelt, das Unbewusste und Bewusste zu verbinden. Die künstlerische Beschäftigung mit dem Un- und Unterbewussten hat Tradition. In den 1920er- und 1930er-Jahren waren es die Künstler/innen des Surrealismus, die sich der Erkundung innerer (Traum)welten verschrieben hatten. Von Bedeutung war dabei die Auseinandersetzung mit der Psychologie von Sigmund Freud sowie C.G. Jung, wobei letzterer durch seine Lehrzeit in Zürich hierzulande besonders präsent war. Seine Lehren waren es auch, die Gertrud Debrunner die Anregung lieferten, der äusseren Sicht der Welt eine innere entgegenzuhalten.

Die Rede ist von einer "nach innen orientierten Identität". Diese erlaubte es nicht nur ihr, sondern auch Künstlerinnen und Künstlern wie Karl Ballmer (1891-1958), Emma Kunz (1892-1963), Louis Soutter (1871-1942) oder Ilse Weber (1908-1984) – alle prominent vertreten in der Sammlung des Aargauer Kunsthauses –, losgelöst von der Idealvorstellung der Moderne von einer linearen Entwicklung künstlerischer Positionen ein eigenständiges Werk auszubilden. Eigen ist diesen Arbeiten eine anti-formalistische Haltung: Anstelle überpersönlicher Ordnungsprinzipien treten betont expressive Gesten. Sie lehnen jegliche ästhetische Denknormen ab und wenden sich ganz und gar dem Individuellen, Momentanen und Existentiellen zu. Künstler/innen jüngerer Generationen – etwa Silvia Bächli (*1956), Bruno Jakob (*1954) oder Annelies Strba (*1947) – führen diese Tradition fort und beweisen mit ihren Arbeiten die ungebrochene Aktualität der Thematik.

Das zentrale Scharnier der Ausstellung bildet die wenig bekannte Arbeit von Gertrud Debrunner (1902-2000). Aus ihrem künstlerischen Nachlass ist eine Reihe von Arbeiten zu sehen, die im Spannungsfeld von Innen und Aussen jene Grenze markieren, der die Ausstellung nachspüren will. Vor dem Hintergrund von Debrunners Auffassung, dass Natur mehr ist als die sichtbare Aussenwelt, lesen sich ihre abstrahierenden Bilder als eigentliche "Seelenlandschaften" – als Synthese aus Naturbeobachtung und innerster Empfindung - und immer auch als Ausdruck einer geistigen, metaphysischen Erfahrung. In ihrem Schaffen schlägt sich dies als ein Prozess nieder, der Mitte der 1940er-Jahre, als sie als Mitglied der Künstlergruppe allianz die grösste Aufmerksamkeit genoss, erstmals einen Höhepunkt hatte und schliesslich in den sogenannten "Blindzeichnungen" der 1970er-Jahre gipfelte. Diese sind ausschliesslich Produkt innerer Wahrnehmung.

Weitere Künstler/innen in der Ausstellung sind: Valentin Carron (*1977), Helmut Federle (*1944), Ferdinand Hodler (1853-1918), Paul Klee (1879-1940), Ernst Maas (1904-1971), Meret Oppenheim (1913-1985), Hans Josephsohn (1920-2012), Cécile Wick (*1954), Adolf Wölfli (1864-1930), Charles Wyrsch (*1920), u.a.


Auf der Grenze
6. Dezember 2014 bis 12. April 2015