Auch Oberflächen können tief gehen. Interview mit Artdesign-Leiterin Maya Kleber

4. November 2015
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Das Feldkircher Schaufenster für Design und anverwandte Bereiche, die Artdesign, tritt in diesem Jahr an drei Schauplätzen in Erscheinung. Die klassische Verkaufspräsentation der AusstellerInnen, mit Objekten vom Ohrring bis zum Ohrensessel, befindet sich im Pförtnerhaus. Fast vier Dutzend Anbieter und HandwerkerInnen aus dem Bregenzerwald oder aus Wien, aus London oder dem Thurgau präsentieren in der angesagten Werkschau Dinge aus Holz oder Leder, Stoff und Stahl, Silberblech und Seide. Hinzu kommt die Werkstatt: Acht ProduzentInnen sind die Avantgarde dieser neuen Formatflanke und lassen sich im Alten Hallenbad über die Schulter schauen. Und der neben Pförtnerhaus und Hallenbad dritte Präsentationsort, das anfangs Jahr eröffnete neue Montforthaus, widmet sich ausschliesslich dem Thema Fotografie.

Um zu klären, wie denn Artdesign und Potentiale genau zusammenpassen, unterhielt sich Kultur-Online mit der Projektleiterin Maya Kleber. Das Interview führte Karlheinz Pichler.

Kultur-Online (KO): Die Artdesign war bislang immer eine auf sich allein gestellte Veranstaltung. In diesem Jahr nun tritt sie erstmals als Teil des übergeordneten Formats "Potentiale" an. Wie es ist es zu dieser Integration gekommen? Hat es Auswirkungen auf die bisherige Positionierung der Artdesign?

Maya Kleber (MK): Die Artdesign findet dieses Jahr in ihrer neunten Auflage statt. Doch geht ihre Geschichte noch viel länger zurück, bis hin zu den Anfängen in Bregenz. Über die Jahre hat sich das Format nur dadurch immer weiterentwickeln können, weil wir uns kontinuierlich Fragen gestellt haben. Und wir waren und sind wohl mutig genug nicht nur Fragen zu formulieren, sondern damit auch Veränderungen anzustoßen. Die Integration der Veranstaltung in das Dachformat der Potentiale war eine bewusste und strategische Entscheidung. Alles andere wäre fahrlässig.

KO: Haben Sie keine Bedenken, dass die Artdesign mit dieser Integration in einen übergeordneten Programmzyklus ihr Alleinstellungsmerkmal verliert oder dass dieses zumindest eine Schmälerung erfährt? Immerhin ist die "Artdesign" mittlerweile eine unverkennbare Marke, die weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. Wenn sie nun zu einer Teilveranstaltung von etwas Höherem wird, könnte Sie ihre mühsam erworbenes Profil verlieren.

MK: Dieses mühsam erworbene Profil, wie Sie es nennen, hat sich die Artdesign unter anderem durch ein in den letzten Jahren rasant gewachsenes Zusatzprogramm zu Eigen gemacht. Neben dem ist es uns als Verantwortliche gelungen, ein immer internationaler ausgerichtetes Ausstellerklientel der regionalen Szene gegenüberzustellen. Ersteres findet sich nun neu im gesamten Stadtgebiet wieder und Zweites macht die inhaltliche Neuausrichtung der Messe selbst in diesem Jahr erst möglich. So spielt das eine das andere nicht aus, sondern potenziert sich zu einem neuen Schwerpunkt, der eine Strahlkraft ermöglichen wird, die weiter geht als bisher. Zudem unterliegen wir nicht den Gesetzen der klassischen Marktwirtschaft, in der es um das Festhalten einer Markenentwicklung geht. Wir haben die Mitverantwortung einer Stadtentwicklung und die Möglichkeit für die Kreativwirtschaft tatsächliche qualitative Plattformen zu schaffen.

KO: Und um es noch krasser auszudrücken: "Artdesign" ist eine bekannte Marke, der Begriff "Potenziale" hingegen ist ein Wald- und Wiesen-Begriff, unter dem sich niemand etwas Konkretes vorstellen kann. Glauben Sie nicht, dass es sehr schwer sein wird, den Begriff "Potenziale" zu vermarkten? Oder wird die "Artdesign" separat und unabhängig davon vermarktet, obwohl sie jetzt ein Teil der Potenziale ist? Die bislang erschienenen Marketing-Unterlagen sind für Aussenstehende jedenfalls ziemlich verwirrend.

MK: Die konventionelle Messe-Landschaft und ihre Formate sind seit einigen Jahren mit neuen Fragestellungen konfrontiert. Unser Ansatz ist es, die Artdesign zu schärfen und durch das Schwesterprojekt Potentiale voranzutreiben. Das zukünftige Verhältnis dieser Geschwister ist aus heutiger Sicht völlig offen. Gemeinsam bieten sie der Stadt jedenfalls Chancen, über sich hinaus zu wachsen. Verwirrung stiftet Fragen, durch Fragen kommen wir ins Gespräch. Unsere Inhalte sind mehrschichtig und wir muten unserem Publikum eine Auseinandersetzung mit Neuem zu und regen es damit ja letztlich auch zum Weiterdenken an.

KO: Was soll mit dem Begriff "Potentiale" denn eigentlich kommuniziert werden? Sehen Sie den Begriff glücklich gewählt?

MK: Stärke und Macht. Das sind die deutschen Bedeutungen des lateinischen Begriffs "potentia". Wenn wir von Potentialen sprechen, meinen wir damit also noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zur Kraftentfaltung. Etwas, das in uns schlummert. Es ist da, aber noch zu verdeckt. Durch das Entwickeln wird es freigelegt und kann wirksam werden. Die Artdesign bietet hierfür bereits viele Jahre den besten Nährboden in Feldkirch.

KO: Laut einer Aussendung sollen mit der Potentiale auch sogenannte "Lost Places" wieder zum Leben erweckt werden, und es ist vom Charme leerer Räume die Rede. Wie sollen diese "Lost Places" wiederbeseelt werden? Gibt es Beispiele dafür?

MK: "Lost Places" beschäftigt sich mit Leerflächen in Feldkirch. Die Aufforderung zur kreativen Auseinandersetzung mit ungenutzten Räumen im Stadtbezirk ging konkret an Design- und Kunsthochschulen, Universitäten, einzelne Studierende und Kollektive, sowie an aktuelle AbsolventInnen aus ganz Europa. Das Ergebnis ist facettenreich und voller Überraschungen. Im Zuge zahlreicher ambitionierter Forschungs- und Konzeptarbeiten lassen Hochschulen, Studierende und junge KünstlerInnen die Stadt Feldkirch zu ihrer Brutstätte, und infolgedessen zu einem spannungsreichen Triebwerk werden. Die Generation von morgen bestimmt schon heute maßgeblich das Erscheinungsbild einer Stadt. "Lost Places" zeigt Kunst und Design als unumstrittene Quelle für urbane Lebendigkeit.

KO: Soll aus der Potentiale 2015 ein dauerhaftes Format werden - im Sinne etwa von Nachhaltigkeit? Wie sähen die Grundpfeiler so einer Nachhaltigkeit aus? Da der Begriff eben für sich sehr nebulös ist, wie soll da eine dauerhafte Profilierung vonstatten gehen?

MK: Die Potentiale wagt als Dachformat den Aufbruch – und das Aufbrechen, das Vernetzten, gemeinsames Denken und Handeln. Eingebunden sind auch Programmpartner, keine neuen Potentiale, sondern bestehende Institutionen und Vereine in Feldkirch, die durch die räumliche Ausdehnung mitkommuniziert werden können und sollen. Als Grundpfeiler sehen wir einen Brückenschlag zu ambitionierter Stadtentwicklung: Mit den komplementären Kräften Artdesign und Potentiale als mitverantwortliche Parts in einem gemeinschaftlichen kommunalen Prozess.

KO: Wie reagieren denn eigentlich die Aussteller und partizipierenden Institutionen der Artdesign auf die Integration dieses Formates in die Potenziale?

MK: Wir haben mit der Potentiale nicht nur ein Dachformat entwickelt, sondern auch die Artdesign im Kern weitergedacht. Die Artdesign, so wie man sie bisher kennt, findet man in einer von vier Locations an nunmehr beiden Ufern der Ill wieder. Konkret konzentrieren wir uns inhaltlich auf die Bereiche, für die es in Vorarlberg keine vergleichbare Plattform gibt. Fotografie, Angewandte Kunst und Design.

KO: Nach der Fertigstellung des Montforthauses muss die Artdesign gezwungenermassen diesen Ort wie früher wieder mitbespielen. Wie stehen Sie zu dieser "Rückkehr", nachdem zunächst Aussteller und Publikum gleichermassen froh darüber war, dass die Veranstaltung ins Reichenfeld umgezogen ist?

MK: Zumindest architektonisch kann man keine Vergleiche mehr ziehen. Zudem beheimaten wir dort einen Neuen Schwerpunkt, die Fotografie. Last but not least ermöglicht uns die Location eine Verbindung in den Stadtbezirk. Wir sehen uns grundsätzlich eher Herausforderungen gegenüber gestellt, anstatt uns an scheinbaren Verpflichtungen aufzuhalten.

KO: Im Montforthaus soll also künftig der Schwerpunkt Fotografie stattfinden. Bedeutet dieser Schwerpunkt eine künftige Höhergewichtung des Faktors Kunst?

MK: Die Bildende Kunst ist seit diesem Jahr kein Branchen-Bestandteil mehr. Somit haben wir uns nicht nur von unseren Galeristen, sondern auch von langjährigen Partnern aus dem Handel verabschiedet. Ohne diese Schärfung hätte eine Neuausrichtung in der Größe, wie man sie dieses Jahr vorfinden wird, nicht konzipiert werden können.

KO: Welches sind aus Ihrer Sicht allgemein die Highlights der diesjährigen Artdesign, was sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen?

MK: Die Artdesign Werkstatt im Alten Hallenbad. Acht ProduzentInnen sind die Avantgarde dieser neuen Formatflanke und lassen sich über die Schulter schauen: Papier, Glas und Textiles sind ihre Materialien, ein 3d-Drucker ist im Spiel, Re- und Upcycling sind Thema. Der Einblick in die Herstellung ermöglicht einen zusätzlichen Bezug zum Gegenstand, der auch hier zum Erwerb angeboten wird. Und: Eindhoven ist zurück. Wir freuen uns auf Fritten, Fritten, Fritten.