Für den österreichischen Beitrag zur Biennale Arte 2024 spannt die 1970 in Leningrad geborene und in Wien lebende Anna Jermolaewa einen thematischen Bogen von der eigenen Fluchterfahrung hin zu Zeichen der Revolution und Subversion gegen nichtdemokratische Regime.
Anna Jermolaewa präsentiert fünf ausgewählte Arbeiten, je eine in den vier Räumen des Pavillons und eine weitere im Innenho: Eines der Hauptwerke der Ausstellung, "Rehearsal for Swan Lake" (2024), das in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Balletttänzerin und Choreografin Oksana Serheieva entstand, bezieht sich auf Jermolaewas Erinnerungen an ihre Jugend: In Zeiten politischer Unruhen, zum Beispiel nach dem Tod eines Staatsoberhaupts, ersetzte das sowjetische Fernsehen seine reguläre Sendung durch Schwanensee... manchmal tagelang ununterbrochen im Loop. Im sowjetischen kulturellen Gedächtnis wurde Tschaikowskis berühmtes Ballett zum Code für einen Machtwechsel. In "Rehearsal for Swan Lake" probt nun eine Gruppe von Balletttänzerinnen ausgewählte Szenen und verwandelt das Ballett von einem Instrument der Zensur und Ablenkung in eine Form des politischen Protests: Diese Tänzerinnen proben für den Regimewechsel in Russland.
The Penultimate (2017) im gegenüberliegenden Raum besteht aus einer Serie von Pflanzenarrangements: Nelken, Rosen, Tulpen, Kornblumen, Lotus, Safran, Jasmin, eine Zeder und ein Orangenbäumchen. Diese beziehen sich auf sogenannte, meist friedliche »Farbrevolutionen«, Volksaufstände, für die bestimmte Farben und Pflanzen als Symbole oder Bezeichnungen dienten. Im Innenhof des Pavillons: das Readymade Untitled (Telephone Booths) (2024), es besteht aus einer Reihe von Originaltelefonzellen aus dem österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen. Mit diesen sechs auf den ersten Blick unscheinbaren Telefonapparaten wurden angeblich die meisten internationalen Anrufe in ganz Österreich getätigt.
Neben diesen Beiträgen zeigt die Präsentation im Österreichischen Pavillon eine Kombination aus neu entwickelten Arbeiten sowie Erweiterungen bereits bestehender Werke der Künstlerin, die ein breites Spektrum an Medien umfassen.
Anna Jermolaewas Beitrag für den Österreich-Pavillon fügt sich hervorragend in das von Kurator Adriano Pedrosa formulierte Generalthema der Kunstbiennale 2024 ein, das mit "Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere" das Thema der Fremde, der Migration sowie Fragen nationaler Identität und kultureller Diversität in den Mittelpunkt stellt und Künstler:innen fokussiert, die Flucht und Migration aus eigener Erfahrung kennen.
Anna Jermolaewa (geb. 1970 als Анна Ермолаева) ist Konzeptkünstlerin. Nachdem sie als eines der ursprünglichen Mitglieder der ersten Oppositionspartei, der Demokratischen Union, und Mitherausgeberin einer ihrer Zeitungen der antisowjetischen Agitation und Propaganda beschuldigt worden war, floh sie 1989 nach Österreich und bekam hier politisches Asyl. Seit 2019 ist Anna Jermolaewa Professorin für Experimentelle Gestaltung an der Linzer Kunstuniversität. Im Kunsthaus Bregenz zeigte sie 2023 im Erdgeschoß zeigt die Installation Chernobyl Safari, Famous Pigeons und die Arbeit Dining Room.
Anna Jermolaewa
Österreich-Beitrag zur 60. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia 2024
20. April bis 24. November 2024