Anders Petersen-Retrospektive im Münchner Stadtmuseum

Der schwedische Fotograf Anders Petersen, 1944 in Stockholm geboren, gehört zu den international einflussreichsten Fotografen seiner Generation. Auf der renommierten Fotoschule von Christer Strömholm zwischen 1966 und 1968 ausgebildet, arbeitete Petersen anfangs bildjournalistisch für schwedische Zeitschriften und Zeitungen.

Sein besonderes Interesse gilt seitdem dem Milieu von gesellschaftlichen Außenseitern. In Animierlokalen, Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten oder Pflegeheimen sucht Anders Petersen seine Themen und beschäftigt sich in eindringlichen Schwarzweiß-Bildessays mit den sozial Vereinsamten und ihren Lebensverhältnissen.

Berühmt wurde Petersen durch seine Portraitaufnahmen von Prostituierten, Obdachlosen und anderen von der Gesellschaft verstoßenen Menschen, die im Café Lehmitz, einer Kneipe an der Hamburger Reeperbahn, Zuflucht und eine temporäre Heimat gefunden hatten. Diese Aufnahmen, Ende der 1960er Jahre entstanden, spiegeln ein Lebensgefühl jenseits gesellschaftlicher Normen wider, geformt vom offenen Umgang mit Sexualität, Liebe und Gewalt. Bald nach einer Ausstellung der Fotos auf dem internationalen Fotofestival in Arles 1977 erschien der Bildband "Café Lehmitz" im Münchner Schirmer/Mosel Verlag und erhielt in der Folgezeit den Status eines Kultbuches. Das Titelbild des Buches entdeckte der Musiker Tom Waits 1985 als Cover für seine Schallplatte "Rain Dogs".

Die Aufnahmen aus "Café Lehmitz" wie auch Petersens nachfolgende Projekte von "City Diary" bis zu "To Belong" sind autobiografisch geprägt. "Ein Bildnis", so Anders Petersen 2013, "das bedeutet auch, dass es nicht nur den Anderen sondern möglichst einen selbst darstellt, also ein Selbstbildnis ist. Das ist interessant, jedenfalls für mich." Ohne die besondere Neugier und Fähigkeit des Fotografen, sich auf die Menschen und auch schwierige Situationen einzulassen, sind viele Bilder nicht verständlich. "Ich suche eine Beziehung zu den Menschen, die ich fotografiere. Und das hat viel zu tun mit dem Verlangen, den Träumen, den Geheimnissen. Vielleicht auch mit unseren Alpträumen und Ängsten." (Gespräch von Anders Petersen mit Christian Caujolle, Paris 2013)

Viele Motive verströmen eine rastlose Lebensenergie. In ihrer pointierten Schwarzweiß-Ästhetik, der Bildsprache einer existentiellen Bedrängtheit, fühlt sich Petersen den Arbeiten des Niederländers Ed van der Elsken, des Japaners Daido Moriyama oder des Franzosen Antoine d"Agata künstlerisch nahe. Diese Fotografen gehen wie Petersen mit hoher Risikobereitschaft an die persönlichen Grenzen des Erlebbaren. Ungeachtet der drastischen Einblicke in die raue Wirklichkeit verfügen viele Aufnahmen von Anders Petersen über einen lyrischen, häufig melancholischen Klang. Der schwedische Fotograf versteht sich als ein Erzähler von Geschichten, die andere, meist verborgene oder unterdrückte Seiten der menschlichen Existenz sichtbar machen wollen.

Wie kaum einen anderen Fotografen bewegt Anders Petersen dieses Interesse an existentiellen Fragestellungen und er dokumentiert das menschliche Verhalten aus einer zutiefst humanistischen Einstellung. "Für mich geht es beim Moment des Fotografierens auch um eine Nähe zu mir selbst. Um den Versuch, die Wirklichkeit zu erleben, anstatt sie lediglich darzustellen, und in diesem Erleben möglichst präsent zu sein. Manchmal ist es ein Glücksfall, man hebt die Kamera, und das Leben springt hinein wie ein Kaninchen. Alles wird bis zum Äußersten getrieben." In den letzten Jahren legt Anders Petersen seine Bilder in Form von Tagebüchern an, die am sozialen Leben anderer teilnehmen, ihre Höhen und Tiefen dokumentieren, Aggressionen und Sehnsüchte ausloten. Es ist die fortlaufend geschriebene Chronik von täglichen Begegnungen des Fotografen, manchmal direkt und schonungslos, aber nie ohne Empathie gesehen.

Bis heute hat Anders Petersen circa 30 Bücher veröffentlicht, die in der Ausstellung zu sehen sind. Es werden etwa 400 Originalaufnahmen aus sämtlichen Werkphasen, sowie der Dokumentarfilm "A Film about with Anders Petersen" (52 Minuten) gezeigt, den sein Freund, der schwedische Fotograf JH Engström 2006 in Zusammenarbeit mit Petersen realisierte. Zur Ausstellung ist im Schirmer/Mosel Verlag München die Monografie Anders Petersen mit Texten von Urs Stahel und Hasse Persson (386 Seiten) erschienen, die an der Museumskasse und im Museumsladen für EUR 49,80 erhältlich ist.


Anders Petersen – Retrospektive
27. März bis 28. Juni 2015