Als Spotify das rosa Schweinchen stahl

26. August 2019 Kurt Bracharz
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Im März 2019 hat das soziale Netzwerk Myspace seine gesamten Datenbestände von 2003 bis 2015 irgendwie „verloren“ – Skeptiker glauben an eine absichtliche Löschung, um Geld für die Speicherung und das Bereitstellen von Millionen MP3s einzusparen. Myspace war 2006 als Musikplattform gefragter als Google, und Künstler wie die Arctic Monkeys oder Lily Allen debütierten dort. Nun sind also 50 Millionen Songs ins Nirvana (nein, nicht von Nirvana) verschwunden, darunter auch viele von Bands, die heute nicht mehr existieren. Das ist vielleicht keine ganz große kulturelle Katastrophe, aber es zeigt, was von dem weit verbreiteten Spruch, das Internet vergesse nichts, zu halten ist.

Angeblich nur einige hundert User von SwissCom sind davon betroffen, dass private Fotos und Videos von Urlauben, Feiern, aber auch Hochzeiten auf dem Online-Speicherdienst My Cloud ebenso unabsichtlich wie unwiderruflich gelöscht worden sind. „Speichern Sie ihre kostbarsten Momente dort, wo sie am sichersten sind: zu Hause. In der Schweiz“ heißt der Slogan, mit dem My Cloud beworben wird, der jetzt vielleicht eher „in einem Schweizer Papierkorb“ heißen sollte.

In einem Artikel im „Tages-Anzeiger“ fragte ein Journalist namens Matthias Schüssler, was von jemandem zu halten sei, der einem Kleinkind den Teddy aus dem Kinderwagen nimmt? Anlass war ein schwerer emotionaler Verlust seiner dreijährigen Tochter, weil alle Songs über das Schweinchen Peppa Pig vom Streamingdienst Spotify plötzlich nicht mehr geliefert wurden. Nachdem Schüssler zuerst versucht hatte, die Schweinchen-Lieder „The Bing Bong Song“, „Mummy Pig“ und North Star“ der Wiedergabeliste erneut hinzuzufügen und dabei an der Warnung vor doppelten Liedern scheiterte (obwohl die Playliste leer geblieben war), resignierte er nicht, sondern wandte sich an die Hilfsabteilung von Spotify, die ihm twitterte: „Die Verfügbarkeit kann sich mit der Zeit von Land zu Land unterscheiden, je nach Genehmigung der Rechteinhaber.“ Schweinchen Peppa Pig hätte das wohl nicht verstanden, der Schweizer Journalist aber schon: Wenn die Lizenzen für ein Land ablaufen, lösen sich die Songs in Luft auf, und zwar ohne vorherigen Hinweis von Spotify. Allerdings gibt es in den „Anzeigeoptionen“ der App ein Kästchen „Nicht verfügbare Songs in Playlist anzeigen“. So erfährt man wenigstens zu spät, was man nicht mehr sehen kann.

Aber nicht nur die dreijährige Tochter, auch der Vater hat Ärger mit dem Internet: Bei der Amazon-Hörbuchtochter Audible gibt es von der fünfteiligen Serie „Magnus Iceland Mysteries“ des britischen Autors Michael Ridpath nur die Folgen 2, 3 und 5. Der erste und der vierte Teil sind wegen „beschränkter Verlagsrechte“ nicht verfügbar. Der Journalist beschwerte sich per FaceBook bei Autor Ridpath, der aber von nichts wusste und der Sache nachzugehen versprach, was folgenlos blieb. Da auch bei den Hörbüchern Teile angeblich „vergriffen“, jedenfalls nicht lieferbar sind, blieb nur der Griff zum gebundenen Buch, das damit einmal mehr seine Überlegenheit zeigte über alles, was Geräte, Strom und Lizenzen, die den Leser betreffen, braucht.

Mir geht es mit den Videos der SRF-Mediathek so ähnlich. Dort könnte ich zwar „Kommissar Rex“, Staffel 10, Folge 3, auswählen, wenn ich das möchte (möchte ich nicht, aber ich habe extra einen österreichischen Film als Beispiel gewählt), aber „aus rechtlichen Gründen steht dieses Video nur innerhalb der Schweiz zur Verfügung“. Gopfertori! Die Deutschen sind da nicht so kleinlich, auf ZDFneo habe ich schon ganze Serien angesehen, aber dort läuft nichts anderes als das, was sie eh täglich im Programm wiederholen, wiederholen und wiederholen. Und damit meine ich nicht nur alle 20 Staffeln „Inspector Barnaby“.

Besonders grotesk finde ich, dass man heute auch in wissenschaftlichen Arbeiten auf Links verweisen kann. Links sind ein flüchtiges Wild, man braucht mindestens immer den allerneuesten Browser, aber auch dann führen viele ins Nichts – bei mir jedenfalls mindestens ein Viertel, das ist zwar nur geschätzt, aber eher niedrig. Die ins Leere führenden Links sind wohl mittlerweile gelöscht oder irgendwie verändert worden, oder ihre Server standen gerade im Umkreis eines russischen Atomzwischenfalls oder was auch immer. Konsequenz: Ich zitiere nur noch Print.