Alles außer gewöhnlich

Ein schmales, wertiges Büchlein mit dem Titel "Raum Annähern" fiel mir in die Hände, und erst bei einem Interview* mit dem Architekten Werner Neuwirth, erschlossen sich die kryptischen, immer dichter werdenden Striche der Zeichnungen auf den ersten 20 Seiten als Gebäudeschnitt. "Man kann Raum nicht vermehren oder vermindern, er ist eine physikalische Größe, die wir nicht beeinflussen können. Wir können ihn nur anders ordnen, anders teilen, ihm andere Formen geben und die Verfügbarkeit aufteilen. Wer muss welchen Raum bezahlen, pflegen, und wer darf ihn wie benutzen?"

Zweite Annäherung. Das Sonnwendviertel ist das zentrumsnahste und sehr gelungene Stadtentwicklungsgebiet am Wiener Hauptbahnhof. Die Parzelle C21 am östlichen Rand ist übriggeblieben. Der Architekt verwirklicht an diesem spezifischen Ort ein Konzept des "Raumsatzes" mit offenem Raumplan, der "auf eine freie Vernetzbarkeit von differenzierten Räumen und Raumeinheiten über die Zeit hinweg" abzielt – das Atelierhaus C21 mit 78 Ateliers (40–120m²) und 6 Werkstätten (40–175m²), 2 Galerien, Café, Salon, Foyers, Dachterrassen. Es gibt keine Prospekte zur Anpreisung, das leinengebundene Büchlein darf von den potenziellen KäuferInnen gefunden werden.

Dritte Annäherung. Architekt Werner Neuwirth stellt Raum zur Verfügung. Es gibt mittlere und große Einheiten, bei denen jeweils zwei Drittel des Raumes eine Höhe von 5,60 Metern aufweisen, und es gibt kleine eingeschoßige Einheiten, die quasi zwischen den Lufträumen eingeschoben werden. Das Fassadenbild wirkt dadurch sehr abstrakt und die Stockwerke lassen sich nicht mehr ablesen. Es sind sechs, plus Freiluftwohnzimmer auf dem Dach. Ohne die überhöhten Raumzonen wäre das Haus um zwei Geschoße niedriger, der Mehrwert für das Stadtbild nicht erkennbar, jener für den Innenraum jedoch für immer verloren. Wer es sich leisten kann, nutzt die Konfigurationsmöglichkeiten und verbindet mehrere Einheiten über die Vertikale oder die Horizontale. Wie werden sich die EigentümerInnen die Atelierwohnungen aneignen, das Potenzial des Raumvolumens nutzen? Zu kaufen gibt es im C21 nichts mehr – allenfalls noch etwas zu mieten.

  • Martina Pfeifer Steiner, 33 Interviews zur Architektur, Hrsg. Nextroom, Müry Salzmann 2019