Alice im Wunderland & Alice hinter den Spiegeln & Alice in Sussex

4. März 2016 Bernhard Sandbichler
Bildteil

… sind insgesamt neue, zeitlose Alices in wundersamen Bildern, die Floor Rieder und Nicolas Mahler geschaffen haben. Carolls Wunderland lesend - bei Mahler hat auch H. C. Artmann ein Wörtchen mitzureden - "wird’s bald still und alles lauscht" und schaut!

1. Die Story: "Und was für einen Zweck haben Bücher, in denen überhaupt keine Bilder und Unterhaltungen vorkommen?", sagt sich Alice zu Beginn dieser Geschichten, bevor plötzlich ein Weißes Kaninchen mit roten Augen und Uhr in der Westentasche an ihr vorüberläuft. Ihre Neugier ist geweckt.

2. Die Heldin: Manchmal ist Alice etwas naiv. Einmal sagt sie: "Ein Hügel kann doch gar nicht wie ein Tal sein. Das wäre ja Unsinn" - Kein Wunder, dass die Rote Königin ihr Haupt wiegt: "Du magst das "Unsinn" nennen, wenn du willst, aber ich habe schon Unsinn gehört, dagegen ist das so logisch wie das Einmaleins!" Und einmal ist Alice etwas nicht erinnerlich: "Im Moment heiße ich gar nicht." Na, das passiert ihr auch bloß, weil sie im Wald ohne Namen ist. Menschenskind! Schmerzlich berührt auch - zumindest Goggelmoggel, das Ungeburtstagskind -, "wenn jemand eine Krawatte nicht von einem Gürtel unterscheiden kann." Und einmal fürchtet Alice: "Ich kann mich nicht erklären, denn ich bin gar nicht ich." Aber wer in aller Welt ist sie dann? "Ja, das ist das große Rätsel!"

3. Der Sound: Christian Enzensbergers Übersetzung aus 1963 klingt immer noch herrlich (un)sinnig: "Wenn der Hund außer sich ist und fortläuft [, weil man den Schwanz von ihm abzieht], dann bleibt sein Sich doch!" So geht die Rechnung jedenfalls auf.

4. Coole Bilder: Floor Rieder bestreicht Glasplatten mit schwarzer Farbe, kratzt die Motive mit der Feder ein, scannt die Bilder und koloriert diese am Rechner. Format, Dicke und Dekor machen ihren Halbleinenband zu einer wunderschönen Bibel. Mahler zeichnet und textiert seine Graphic Novel in Tusche und koloriert für dieses Mal in Blau: schöne Klappenbroschur!

5. Coole Wörter: "Verdaustig war’s und glasse Wieben / Rotterten gorkicht im Gemank. / Gar elump war der Pluckerwank / Und die gabben Schweisel frieben." Schachtelwörter heißt die Lösung: ""Verdaustig" heißt "vier Uhr nachmittags" - wenn man nämlich noch verdaut, aber doch schon wieder durstig ist." Scharfsinn ist gefragt. Den hatte Enzensberger.

6. Zum Nachdenken: "Wenn ich nicht wirklich wäre, dann könnte ich doch gar nicht weinen!"

7. Der Autor: Lewis Carroll - das ist die Übersetzung der Übersetzung des Oxforder Logikers und Mathematikers Charles Lutwidge (lat. Carolus Ludovicus, engl. Caroll Lewis) Dodgson, wie sie seinem Verleger Edmund Yates gefiel und der Nachwelt bis in unsere Tage gefällt. Der eine wie der
andere - Charles Lutwidge wie Lewis Caroll - ist der Schöpfer dieser abgrundtiefen Gedankenwelt.

8. Die Bücher:
Lewis Carroll - Alice im Wunderland & Alice hinter den Spiegeln
Aus dem Englischen von Christian Enzensberger, mit Illustrationen von Floor Rieder. Hildesheim: Gerstenberg 2015, 384 Seiten, Halbleinen, farbig
illustriert, mit Lesebändchen, 25,70 Euro

Nicolas Mahler - Alice in Sussex frei nach Lewis Carroll und H. C. Artmann
Berlin: Suhrkamp Verlag 2013, 143 Seiten, Klappenbroschur, farbig illustriert, 19,60 Euro