Alfred Kubin. Bekenntnisse einer gequälten Seele

Wäre es Musik, würde man die Bilder von Alfred Kubin als dunkelschwarze Lieder bezeichnen. Wer die umfassende, tiefgründige Ausstellung im Wiener Leopold Museum versäumt hat, kann sich mit dem begleitenden und kompletten Ausstellungskatalog in schaurige Weltuntergangsstimmung versetzen. Ein Hoffnungsschimmer für die Interessierten an diesem faszinierenden Werk ist jedoch, dass es vor mehr als hundert Jahren entstanden ist ... und die Welt heute noch steht.

Die Kunst des großen Zeichners, Illustrators und Autors Alfred Kubin (geb. 1877 in Leitmeritz, Böhmen, gest. am 20. August 1959 in Zwickledt) scheint aktueller denn je: Gewalt, kriegerische Zerstörung, Seuchen, Naturkatastrophen, Manipulation der Massen und andere Abgründe des menschlichen Seins zeigen seine stark erzählerisch geprägten Bilder. Das geheimnisvolle Werk konfrontiert uns mit pessimistischen Visionen, traumatischen Szenen, Apokalypse, monströsen Gewalten, unheimlichen Orten und dem Grausen (Titelbild: Das Grausen, um 1902).

"Auch in Das Grausen wird diese pessimistische Weltauffassung Kubins evident, wenn in stürmischer See ein überdimensionaler Totenkopf mit herausquellendem Augapfel der Schiffsbesatzung das Ende verkündet, bevor sie vom Wasserstrudel in die unauslotbare Tiefe gezogen wird. Kubin scheint an diesen existenziellen Bedrohungsszenarien Lust und Ekel zugleich verspürt zu haben: 'Tiefer erblicke ich das Wunder, dass das Grauen herrlich ist, dass der Abgrund ewig lockend ist' " schreibt der Herausgeber Hans-Peter Wipplinger in seinem Essay. Das Buch (es dokumentiert komplett und mit noch ausführlicheren Texten die Ausstellung) unternimmt den erstmaligen Versuch, die Kunst der Kubin'schen Traumwelten, die allzu oft in alpdrückend-düstere Sphären vordringt, auch in ihrem Bezug zum Unbewussten, zu den Tiefendimensionen des Psychischen zu erfassen. Der Psychoanalytiker und Psychiater August Ruhs orientiert sich bei dieser Interpretation an den Werken Kubins, die Kurator Hans-Peter Wipplinger themenbezogen ausgewählt hat, welche in Dialog mit Arbeiten von Künstlern des 19. Jahrhunderts wie der klassischen Moderne gesetzt werden, die Kubin als Inspirationsquellen dienten.

Alfred Kubin wurde Zeit seines Lebens von schrecklichen Visionen aus Kindheits- und Jugendtagen heimgesucht. Seine Angstzustände, Schuldgefühle und das ohnmächtige Ausgeliefertsein des Individuums verarbeitete er auch in seinem literarischen Werk "Die andere Seite". Noch am Totenbett 1959 sagte Kubin zum Arzt, der ihn behandelte: "Nehmen Sie mir meine Angest nicht, sie ist mein einziges Kapital."

Alfred Kubin. Bekenntnisse einer gequälten Seele
Hg. Hans-Peter Wipplinger
Texte: Hans-Peter Wipplinger, August Ruhs, Burghart Schmidt, Annegret Hoberg, Lena Scholz
328 Seiten, 262 Abbildungen, gebunden, D/E
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln; ISBN 978-3-7533-0197-6

Alfred Kubin. Die andere Seite Ein phantastischer Roman. Dieser entstand im Herbst 1908 aus einer Schaffenskrise heraus und wurde 1909 mit 52 Illustrationen Kubins im Verlag G. Müller (München und Leipzig) veröffentlicht.