72. Filmfestival von Venedig

2. September 2015
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Spannend liest sich das Line-up des 72. Filmfestivals von Venedig (2.9. – 12.9. 2015), denn statt Altmeistern dominieren jüngere Regisseure den Wettbewerb um den Goldenen Löwen.

Eröffnet wird das 72. Filmfestival von Venedig mit Baltasar Kormakurs Bergdrama "Everest". Großes Spektakelkino darf man hier erwarten, ob es auch ein großer Film sein wird, wie die letzten beiden Venedig-Opener "Gravity" und "Birdman" wird sich zeigen.

Löwen jedenfalls wird Kormakur keiner gewinnen, denn sein Film läuft außer Konkurrenz. In dieser kämpfen 21 Filme um die begehrten Preise, die am 12. September von der von Alfonso Cuaron geleiteten Jury vergeben werden. Zu den Altmeistern in der Konkurrenz zählen der Italiener Marco Bellocchio, der "Sangue del mio sangue" vorstellt, der Pole Jerzy Skolimowski, der in "11 Minutes" elf Minuten im Leben mehrerer Menschen folgt, oder der Russe Aleksander Sokurow, der nach seinem "Löwen"-Gewinn mit "Faust" in "Francofonia" sich ausgehend vom Louvre während der nationalsozialistischen Okkupation mit dem Verhältnis von Kunst und Macht auseinandersetzt.

Zu den renommierten Namen zählen auch der in den letzten Jahren wenig erfolgreiche Atom Egoyan, der "Remember" präsentiert, oder der Israeli Amos Gitai, der sich in "Rabin, the Last Day" auf den letzten Tag im Leben des am 4. November 1996 ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin konzentriert.

Gespannt sein darf man, was Tom Hooper nach seinem Oscar-Erfolg "The King´s Speech" und der Musicalverfilmung "Les Miserables" mit "The Danish Girl" gelingt, in dem er von Einar Wegener erzählt, der sich 1930/31 als einer der ersten einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog und zu Lili Elbe wurde. Während Hooper allerdings wohl kaum formal ausgetretene Bahnen verlassen dürfte, darf man beim Italiener Luca Guadagnino nach seinem gefeierten "I am Love" bei seiner ersten englischsprachigen Produktion "A Bigger Splash" schon mehr erwarten. Wieder spielt Tilda Swinton die Hauptrolle, dazu kommen Shooting Star Matthias Schoenarts, Ralph Fiennes und Dakota Johnson.

Ebenfalls mit Spannung wartet man schon lange auf Cary Fukunagas ("Sin nombre", "Jane Eyre") Kindersoldatendrama "Beasts of No Nation" und "Anomalisa", den ersten Animationsfilm des vor allem als Drehbuchautor für Filme von Spike Jonze und Michel Gondry bekannten Charlie Kaufman, den er zusammen mit Duke Johnson gedreht hat.

Ihr Spielfilmdebüt legt im Wettbewerb von Venedig nicht nur die 68-jährige Performance-Künstlerin Laurie Anderson mit "Heart of a Dog" vor, sondern auch der Venezolaner Lorenzo Vigas mit "Desde alla" und der Sizilianer Piero Messina mit "L´attesa".

Während sich auch daneben mit dem Südafrikaner Oliver Hermanus ("The Endless River"), der Australierin Sue Brooks ("Looking for Grace") oder dem Türken Elmin Alper ("Frenzy") im Wettbewerb mehrere noch wenig bekannte Regisseure und kleine Filme finden, fehlen in Nebenreihen mit Scott Coopers Gangsterfilm "Black Mass", Daniel Alfredsons Thriller "Go With Me" oder Thomas McCarthys "Spotlight" große US-Produktionen nicht. Auch Martin Scorsese präsentiert hier seinen Kurzfilm "The Audition", Frederick Wiseman erkundet in seinem Dokumentarfilm "In Jackson Heights" den gleichnamigen multikulturellen Stadtteil von Queens/New York und Sergei Loznitsa legt mit "Sobytie – The Event" einen Film über St. Petersburg vor.

Spannend ist aber auch der Blick auf die Liste der Filme, die nicht nach Venedig eingeladen wurden oder eine Einladung ablehnten und einen Start beim großen nordamerikanischen Festival in Toronto vorzogen - und danach wohl ihre Europapremiere in San Sebastian und dann teilweise beim Zurich Film Festival feiern werden. Stephen Frears Biopic über den mehrfachen Tour de France-Sieger und Dopingsünder Lance Armstrong ("The Program") gehört ebenso dazu wie Ridley Scotts Science-Fiction-Film "The Martian", Michael Moores "Where to Invade Next" oder Terence Davies "Sunset Song".