70. Locarno Festival: Trauer, Rassismus und die Rache des 脰tzi

W盲hrend Felix Randau die Geschichte des 脰tzi in "Iceman" als Rache-Western inszeniert, erz盲hlt Andrei Cretulescu in "Charleston" lakonisch von Trauer und einer ungew枚hnlichen M盲nnerfreundschaft. Der Amerikaner Travis Wilkerson arbeitet dagegen in dem Dokumentarfilm "Did You Wonder Who Fired the Gun?" nicht nur ein dunkles Familiengeheimnis auf, sondern verkn眉pft dieses mit Geschichte und Gegenwart des Rassismus in Alabama.

Mit seinen gro脽en Landschaftstotalen h盲tte Felix Randaus "Iceman" durchaus auf der Piazza Grande punkten k枚nnen, doch Schlechtwettereinbruch und str枚mender Regen bedingte eine Verlegung der Weltpremiere in die w盲hrend des Festivals jeweils als Kino genutze Messe- und Eventhalle FEVI.

Randau hat im ausgestorbenen R盲tisch gedreht, verzichtet auf Untertitel, weist aber auch schon im Vorspann darauf hin, dass Verst盲ndnis des Dialogs f眉r das Verst盲ndnis des Films nicht n枚tig ist. Kurz informieren Vorspanninserts auch 眉ber den Fund des 脰tzis 1991 und um den Umstand, dass es sich dabei um einen vor 5300 Jahren gestorbenen Angeh枚rigen einer jungsteinzeitlichen Siedlung handelt. Nur ironisch gemeint sein kann freilich der diese Einleitung abschlie脽ende Satz "This is his story", denn angesichts der d眉rftigen Quellenlage fantasiert Randau wohl einfach eine Geschichte zusammen.

Nicht lange h盲lt sich der 43-j盲hrige Regisseur mit einer ethnographischen Schilderung auf, schickt bald einmal den Kelab genannten Protagonisten (J眉rgen Vogel) auf die Jagd. Seine Abwesenheit n眉tzt aber ein feindlicher Stamm nicht nur, um einen heiligen Schrein zu stehlen, sondern auch um die Siedlung niederzubrennen und alle Bewohner mit Ausnahme eines Babys zu t枚ten.

Wie dieser Auftakt an John Fords Klassiker "The Searchers" und andere Rache-Western erinnert, so orientiert sich auch der anschlie脽ende Rachefeldzug an Vorbildern dieses Genres bis hin zu Alejandro Gonzalez Inarritus "The Revenant". Sorgfalt bei der Ausstattung von Fellkleidung 眉ber Waffen bis zu Behausungen und die von Grau- und Blaut枚nen dominierten Bilder einer lebensfeindlichen Gegend evozieren zwar eine dichte Atmosph盲re, sehr d眉rftig bleibt aber die Geschichte.

Beliebig werden da doch ziemlich unmotiviert Szenen aneinandergereiht vom Mord an anderen J盲gern, weil Kelab sie f盲lschlicherweise f眉r die T盲ter h盲lt, 眉ber die Begegnung mit einem alten Mann und seiner Tochter, bei denen er das Baby zur眉cklassen kann, bis hin zur Durchquerung einer Schlucht und dem Sturz in eine Gletscherspalte.

Nur als ein McGuffin erscheint auch der Schrein, den Kelab nach vollzogener Rache zur眉ckholt, einziges historisches Faktum bleibt sein Tod im Gebirge, f眉r den schlie脽lich ein aus dem Nichts auftauchender anderer J盲ger sorgen muss.

Mehr Filmkunst bot da schon im Wettbewerb der rum盲nische Beitrag "Charleston". Der Titel, der auf die Begeisterung der Protagonisten f眉r den Schauspieler Charlton Heston verweist, ist zwar auch ein McGuffin, doch die lakonische Erz盲hlweise und zahlreiche witzige Details nehmen doch f眉r dieses Langfilmdeb眉t ein.

Nur zwei Einstellungen ben枚tigt Andrei Cretulescu, um vom Tod einer Frau und ihrem Begr盲bnis zu erz盲hlen, schon l盲sst er den Mann der Verstorbenen in seiner verrauchten Wohnung bei Zigaretten und Alkohol scheinbar versumpfen. Gest枚rt wird der muskul枚se b盲rtige Alexander aber bald vom schm盲chtigen Milchbubi Sebastian, der sich als Liebhaber der Verstorbenen outet und sich f枚rmlich beim Witwer einnistet.

Sehr viel Zeit l盲sst sich Cretulescu, erz盲hlt ruhig in langen statischen Einstellungen, entwickelt aber gro脽en Witz bei einem Essen bei den Eltern der Verstorbenen, einem Kinobesuch oder durch einen winzigen roten Fiat, mit dem das ungleiche Duo sich schlie脽lich auf eine Reise begibt. Bewegend erschlie脽en sich dann auch erst vom Ende her die einzelnen Szenen und der gesamte Film als Auseinandersetzung mit Verlust und der Zeit, die es braucht, bis die Trauer wirklich durchbrechen kann.

脺berzeugend das Private mit dem Politischen verkn眉pft der Amerikaner Travis Wilkerson in seinem Dokumentarfilm "Did You Wonder Who Fired the Gun?" Ausgangspunkt und zentrale Handlungslinie des Films sind zwar Wilkersons Nachforschungen zum Mord seines eigenen Urgro脽vater an dem Afroamerikaner Bill Spann 1946 in Alabama, doch ausgehend von dieser Einzeltat, f眉r die der T盲ter nie zur Verantwortung gezogen wurde, blickt der Regisseur auch immer wieder auf die Geschichte und Gegenwart des Rassismus in Alabama.

Wortlastig ist "Did You Wonder Who Fired the Gun?" zweifellos, wird er doch ganz durch Wilkersons Off-Stimme erz盲hlt, doch nie zu faktenlastig und immer 眉bersichtlich bleibt dieser spannende Dokumentarfilm, mit der es dem Amerikaner, unterst眉tzt von starken Songs, gelingt, einerseits vergessene Opfer des Rassismus dem Vergessen zu entrei脽en, andererseits aber auch das Fortwirken des Rassismus, das der wei脽e Regisseur w盲hrend seiner Rechechen auch selbst zu sp眉ren bekam, sichtbar zu machen. - Nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftspolitischen Aktualit盲t hat sich mit diesem Film ein weiterer Preisanw盲rter eingestellt.