61. Filmfestival von San Sebastian

Im Vergleich zum Festival von Venedig wird das Filmfestival von San Sebastian/Donostia (20. – 28.9.) in Mitteleuropa medial etwas stiefmütterlich behandelt. Mit neuen Filmen unter anderem von Atom Egoyan, Götz Spielmann, Bertrand Tavernier und Denis Villeneuve sowie mehreren neuen spanischen Produktionen muss sich das Line-Up der 61. Ausgabe aber nicht hinter der Konkurrenzveranstaltung am Lido verstecken.

Den Sommer in den Herbst verlängern kann man mit einem Besuch des Festivals von San Sebastian. Verzaubern kann einen nicht nur die reizvolle Lage der Stadt an einer Bucht des Golf von Biskaya, deren Aussehen und Name "La Concha" auch Pate für die beim Festival vergebene Goldene Muschel stand.

Auch die Altstadt mit ihren engen Gassen und zahlreichen Tapa-Bars strahlt viel Flair aus und die Filme der offiziellen Sektion laufen in der europäischen Kulturhauptstadt 2016 noch nicht in Multiplexen, sondern neben dem von Rafael Moneo geplanten Kursaal in so altehrwürdigen Gebäuden wie dem 1843 eröffneten Teatro Principal oder dem Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten Teatro Victoria Eugenia.

Eröffnet wird das heurige Festival mit dem neuen Film von "In ihren Augen"-Regisseur Juan José Campanella. Mit "Futbolin" legt der Argentinier einen 3D-Animationsfilm vor, in dessen Mittelpunkt ein Junge steht, der begeistert von Tischfußball ist.

Während dieser Film schon mit großem Erfolg in seinem Entstehungsland läuft, wird das Festival mit einer Weltpremiere beendet: dem neuen Film von "Amélie"-Regisseur Jean-Pierre Jeunet. Im Gegensatz zum Eröffnungsfilm handelt es sich bei "The Young and Prodigious T. S. Spivet" zwar um einen Realfilm, mit "Futbolin" verbindet diesen aber, dass Jeunet ebenfalls in 3D drehte und auch hier ein Junge im Mittelpunkt steht. Dieser interessiert sich weniger Sport als vielmehr für Erfindungen und Kartographie.

Große Namen fehlen auch im Wettbewerb um die Goldene Muschel nicht. Nach ihren Weltpremieren beim Filmfestival von Toronto werden beispielsweise die neuen Filme von Götz Spielmann, Atom Egoyan und Denis Villeneuve in San Sebastian ihre Europa-Premieren feiern.

Spielmann erzählt in "Oktober November" von zwei Schwestern, die in einem Hotel in den Alpen aufwuchsen. Während die eine diese Region nie verließ, kehrt die andere nach längerem Aufenthalt in Berlin an die Orte ihrer Kindheit zurück.

Egoyan erzählt dagegen in "The Devil´s Knot" mit Reese Witherspoon und Colin Firth in den Hauptrollen einen auf Tatsachen beruhenden Mystery-Thriller um einen Mord an drei Kindern. Auch Denis Villeneuve legt nach seinem erschütternden "Incendies – Die Frau die singt" mit "Enemy" einen Mystery-Thriller vor. Rätseln darf man freilich darüber, wieso die Filme von Regisseuren dieser Reputation nicht nach Venedig eingeladen wurden, da doch ein Start dort zumindest in Mitteleuropa wesentlich stärker beachtet worden wäre.

Ein weiterer großer Name im Wettbewerb ist der Franzose Bertrand Tavernier, der für "Quai d´Orsay" einen Comic adaptierte. Gespannt sein darf man auch, was Jasmila Zbanic, die auf ihr starkes, mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetes Debüt "Grbavica", mit "Na putu – Zwischen uns das Paradies" ein schwächeres Werk folgen ließ mit ihrem dritten Film gelingt. In "For Those Who Can Tell No Tales" setzt sich die Bosnierin erneut mit den Traumatisierungen durch den Jugoslawienkrieg auseinander.

Gewohnt stark vertreten ist in San Sebastian wie gewohnt das spanische und das lateinameikanische Kino. Viel Zeit hat sich der Mexikaner Fernando Eimbcke nach seinem wunderbar lakonischen "Lake Tahoe" genommen. Ob er seinen an den jungen Jim Jarmusch erinnernden Stil mit "Club Sandwich" fortsetzen wird, wird sich zeigen.

Gegenpol zu diesem wortkargen und leisen Kino stellten bislang die ebenso furiosen wie teilweise auch geschmacklosen, aber immer vor Einfallsreichtum überbordenden Arbeiten von Álex de la Iglesia dar. Mit "Las Brujas de Zugarramurdi – Bitching and Witching" schickt der Spanier eine absurde Komödie ins Rennen um die Goldene Muschel. Weitere spanische Filme kommen von David Trueba, Manuel Martín Cuenca und das Debüt von Fernando Franco.

In der Sektion "Pearls" werden herausragende Filme anderer Filmfestivals präsentiert. Die soeben in Venedig uraufgeführten Filme von Alfonso Cuáron ("Gravity"), Terry Gilliam ("The Zero Theorem") und Hayao Miyazaki ("The Wind Rises") werden hier ebenso gezeigt, wie Hirokazu Kore-Edas in Cannes ausgezeichneter "Like Father, Like Son", Jia Zhangkes "A Touch of Sin", die Berlinale-Preisträger "Child´s Pose – Mutter und Sohn" und "Gloria" oder der Sundance-Hit "Fruitvale Station".

Einblick in das aktuelle spanische und lateinamerikanische Filmschaffen bieten die Sektionen "Horizontes Latinos" und "Made in Spain" mit jeweils elf Filmen. 16 erste oder zweite Spielfilme, darunter allerdings keine Produktion aus dem deutschsprachigen Raum, konkurrieren in der Schiene "New Directors" um den mit 50.000 € dotierten Kutxa-New Directors Award. Neu geschaffen wurde in Kooperation mit dem Red Bull Media Haus die Schiene "Savage Cinema", in der Filme gezeigt werden, in denen Abenteuersportarten von Surfen bis Bergsteigen eine zentrale Rolle spielen

Ein Fixpunkt des Festivals sind jedes Jahr die beiden Retrospektiven. Wie gewohnt gibt es dabei eine personenbezogene sowie eine thematische Retrospektive. Während erstere dem im Januar verstorbenen japanischen Regisseur Nagisa Oshima gewidmet ist, richtet die zweite den Fokus auf Entwicklungen im Animationsfilm im Laufe der letzten zehn Jahre.