60. Berlinale: Kühle Studien von Arslan und Heisenberg

17. Februar 2010
Bildteil

Benjamin Heisenberg vermag mit seiner ebenso kühlen wie präzise Studie "Der Räuber" im Wettbewerb der Berlinale zu überzeugen, wirklich famos aber ist Thomas Arslans inhaltlich und formal ähnlicher Film "Im Schatten", der im Forum gezeigt wird.

"Nach einer wahren Begebenheit" heißt es im Vorspann von Benjamin Heisenbergs zweitem Spielfilm "Der Räuber": In den 80er Jahren erregte der erfolgreiche Marathonläufer Johannes Kastenberger in Österreich mit seinen Banküberfällen Aufsehen. Dank seiner Schnelligkeit entkam er nicht nur bei seinen Überfällen der Polizei, sondern sogar noch nach der Verhaftung aus der Polizeistube. Als sich schließlich aber das Netz um den wegen seiner Ronald Reagan-Maske Pumpgun-Ronnie genannten Kastenberger immer enger schnürte, beging er Selbstmord.

Heisenberg änderte nicht nur den Namen des Bankräubers in Rettenberger, sondern verlegte vor allem die Geschichte in die Gegenwart. Am Laptop studiert der erfolgreiche Marathonläufer im Film seine Pulsfrequenz, die er während der Überfälle mit Brustgurt aufzeichnet. Nicht ums Geld geht es diesem entschiedenen Einzelgänger offensichtlich, sondern um den Kick. Heisenberg versucht die Aktionen Rettenbergers nicht psychologisch zu erklären, blendet seine Sozialisation ebenso aus wie das gesellschaftliche Umfeld. Heisenberg lässt den Film mit Rettenbergers Entlassung aus der sechsjährigen Haft beginnen, die er wegen versuchten Banküberfalls verbüßte. Nicht weiter erklärt wird auch, woher er Erika kennt, bei der er vorübergehend einzieht. Sex haben sie zwar miteinander, aber von einer Beziehung kann man nicht sprechen.

Der Fokus liegt ganz auf dem von Andreas Lust stark gespielten Bankräuber. Fast nur seinen Aktionen folgt der Film, zunächst seinen Überfällen, dann seiner Fluchtbewegung. Man spürt in dieser kühlen, aber genauen Studie, wie Rettenberger getrieben ist, und wenn hier mehrmals von Entscheidungen, die Rede ist, die zu fällen sind, dann weitet sich "Der Räuber", ohne dass dies besonders forciert würde, zu einem Diskurs über Freiheit und innere Zwänge. Jede Emotionalisierung und auch Identifikation vermeidet Heisenberg, spielt zwar bei den Überfällen mit dem Genre des Bankräuberfilms, unterwandert dieses aber auch. Im Gegensatz zu gängigen Filmen werden keine Antworten geboten, aber gerade dies macht "Der Räuber" interessant, lässt ihn im Kopf des Zuschauers weiter laufen.

An Dichte und Konzentration noch um Einiges übertroffen wird Heisenbergs Film von Thomas Arslans "Im Schatten", der im Forum gezeigt wird. Wie Heisenberg folgt Arslan einem – in diesem Fall fiktiven - Verbrecher von seiner Haftentlassung an und wie Heisenberg verzichtet er auf Psychologisierung. Trojan sucht seinen Ex-Kumpel auf, für den er geschwiegen hat und fordert seinen Anteil. Der Ex-Partner hält ihn aber hin, hetzt dann zwei Gangster auf ihn, die Trojan aber leicht überlistet.

In jeder Aktion, ja jeder Bewegung Trojans spürt man in der ungemein konzentrierten und emotionslosen Inszenierung Arslans die Professionalität, die Vorsicht und Überlegtheit dieses Verbrechers. Wie bei Trojan ein Rädchen ins andere greift, nichts dem Zufall überlassen wird, so präzise ist auch die Inszenierung Arslans.

Um einen neuen Coup bemüht sich Trojan, checkt zwei Partner und kommt dann über eine ihn liebende Pflichtverteidigerin zum Überfall auf einen Geldtransport. Den Plot kennt man aus Thrillern wie Hustons "Asphalt Dschungel", Siodmaks "Criss Cross" und zahllosen weniger großartigen Filmen. – So kühl und präzise inszeniert und so voll innerer Spannung hat man das aber bislang vielleicht nur in Jean-Pierre Melvilles "Le samourai" gesehen.

Kein Wort gibt es hier zu viel, keine überflüssige Einstellung, von äußerster Ökonomie ist die Erzählweise. Aber mag der Coup auch reibungslos wie am Schnürchen ablaufen, so bringt dann doch Unvorhergesehenes die Pläne in Unordnung. Denn neben den Gangstern seines Ex-Partners hat Trojan auch einen schmierigen Polizisten auf den Fersen, der ihn schon lange beschattet und nun auf eigene Rechnung arbeitet. Eiskalt geht man hier zur Sache, emotionslos wird getötet in dieser meisterhafter Studie, mit der Arslan beweist, dass man mit den Mitteln der Berliner Schule auch einen schnörkel- und makellosen, ungemein spannenden Genrefilm drehen kann.