60. Berlinale: Japanischer "Kriegsheld" und anatolische Kindheit

18. Februar 2010
Bildteil

Wirklich Herausragendes findet sich im Wettbewerb der Berlinale bislang kaum. Beeindruckend in seiner kompromisslosen Abrechnung mit dem japanischer Heldenverehrung ist aber Koji Wakamatsus "Caterpillar", während Semih Kaplanoglu mit "Bal - Honey" einen zwar bestechend schöne, aber auch sehr langsame Kindheitsgeschichte vorlegt

Keine Zweifel lässt der 66-jährige japanische Regisseur Koji Wakamatsu in "Caterpillar" darüber aufkommen, was er von der japanischen Gesellschaft der Weltkriegszeit, von Heldenverehrung und Patriotismus hält. Propagandafilme aus dem chinesisch-japanischen Krieg, begleitet von fröhlichen nationalistischen Liedern eröffnen den Film ehe das Archivmaterial in einen Spielfilm übergeht und in den faszinierend-irritierenden Szene im Vordergrund orange Flammen lodern und im Hintergrund eine Frau brutal vergewaltigt wird.

Nur als Torso, ohne Beine und Arme, mit schweren Verbrennungen am Kopf und unfähig zu sprechen, kehrt Leutnant Kurokawa 1940 aus dem Krieg zurück. Als Kriegsheld wird er gefeiert, mit Medaillen dekoriert. Seine Frau aber möchte ihn zunächst ermorden, beginnt ihn dann aber doch zu pflegen, füttert ihn und stillt sein Verlangen nach Sex. Und im Dorf werden Jugendliche und Greise eingezogen, werden patriotische Lieder gesungen und Parolen geschwungen und wird der "Kriegsheld" gefeiert, wenn ihn die Gattin in einem Wagen durch die Gassen schiebt.

In Kurokawa steigen aber langsam Erinnerungen an seine Gräueltaten im Krieg auf, während die Frau ihn zu beschimpfen beginnt, während der Grausamkeiten und Vergewaltigungen, die er ihr vor dem Krieg zufügte. Am Ende geht "Caterpillar" – nur wie eine Raupe kann sich Kurokawa bewegen – wieder in Archivmaterial von den Atombombenabwürfen, der Erklärung des Kaisers, er habe alles zum Wohle des japanischen Volkes gemacht und der Hinrichtung von Kriegsverbrechern über.

Der Gegensatz zwischen den in warme Brauntöne getauchten ruhigen häuslichen und idyllischen Dorfszenen und dem historischen Hintergrund könnte größer nicht sein. Gerade durch diesen Gegensatz entwickelt sich "Caterpillar" aber zur kompromisslosen, freilich auch eindeutig belehrenden Abrechnung nicht nur mit dem japanischen Militarismus, Patriotismus und Heldenverehrung, sondern er entlarvt diese "Helden" auch als Verbrecher nicht nur im Krieg, sondern auch im eigenen Haus und brandmarkt so auch die patriarchale japanische Gesellschaftsstruktur.

Den Blick ganz auf den sechsjährigen Yusuf richtet dagegen der Türke Semih Kaplanoglu in "Bal – Honey", mit dem er seine mit "Egg" und "Milk" begonnene Trilogie abschließt. Zeitlich spielt der neue Filme vor den ersten beiden Teilen und widmet sich der Kindheit Yusufs in Analtolien.

Nur zu seinem Vater, der in den Gebirgswäldern im Hinterland der Schwarzmeerküste Honig sammelt, hat der Junge Vertrauen. Ihm erzählt er seine Träume, mit ihm streift er durch die Wälder. In der Schule dagegen Yusuf ein Außenseiter, bleibt während der Pause im Gegensatz zu den anderen Kindern in der Klasse, verfällt in Stottern, wenn er vorlesen soll, obwohl er dies zuhause problemlos kann. Und auch zu seiner Mutter kann er keine echte Beziehung aufbauen.

Meisterhaft komponiert sind die langen Einstellungen, großartig ausgeleuchtet die Räume und der Film insgesamt von bestechender Geschlossenheit. Formal mag das zweifellos der schönste Film des Wettbewerbs sein, allein die Spannung verflüchtigt sich nach einer Pre-Title-Sequenz, die erst rund 100 Minuten später aufgenommen wird rasch, denn einerseits kommt man trotz des stillen und intensiven Blicks auf den Jungen diesem nicht näher, andererseits weitet sich der Film in seiner Fokussierung auf den kleinen Protagonisten, auf sein Elternhaus, wenige Schulszenen und Ausflüge in die Wälder auch nicht zu einer realistischen Schilderung dieser ländlichen Region.