59. Berlinale: Zwei Mal "Europa heute"

9. Februar 2009
Bildteil

Während Hans-Christian Schmid in "Storm" von einem angestrebten Prozess gegen einen serbischen Kriegsverbrecher erzählt und damit einen ersten Anwärter auf den Goldenen Bären lieferte, geht es in Philippe Liorets "Welcome" um das Schicksal von Migranten – aber eben leider auch noch um mehrere andere Themen.

Spannend ist bei einem Festival immer auch das Aufeinandertreffen thematisch verwandter Filme, die gleichzeitig formal unterschiedlicher kaum sein könnten. Philippe Lioret setzt in seinem Migrantendrama "Welcome", das in der Programmschiene „Panorama“ läuft, beispielsweise auf große Emotionen – und wird dafür vom Publikum mit langem Beifall gefeiert.

Beziehungsgeschichten ("Mademoiselle") und Melodramen ("Die Frau des Leuchtturmwärters") waren bislang Liorets Spezialität und man durfte skeptisch sein, was dieser Regisseur aus einem sozial relevanten Thema machen würde. Das Resultat ist leider schlimmer als befürchtet, denn indem Lioret durchaus gekonnt auf die Tränendrüsen des Zuschauers drückt und fünf bis sechs Geschichten zu einem Film verquirlt, missbraucht er letztlich das traurige Los von Migranten.

Zeitlich durch ein Insert am Beginn genau datiert im Februar 2008 und durchaus genau in der Schilderung des Schlepperwesens von Calais nach England, verliert der Film spätestens dann jede Glaubwürdigkeit, wenn der 17-jährige Iraker Kalil auf einen französischen Schwimmlehrer trifft. Migranten steht dieser zwar zunächst indifferent gegenüber, als seine von ihm in Scheidung lebende Frau sich aber über das Verhalten der Behörden beschwert, wird er plötzlich aktiv. Er gibt Kalil Schwimmunterricht, um ihm zu ermöglichen den Kanal zu durchqueren und zu seiner Freundin in London zu kommen.

Verknüpft mit diesem Migrantenschicksal wird neben dem Aufruf zu Zivilcourage, der Scheidungskummer des Schwimmlehrers, die Anfeindungen der Nachbarn, die bald die Behörde informieren, dass in der Wohnung Illegale übernachten, aber auch die Situation der in England lebenden Freundin Kalils. Denn diese will der Vater mit einem Cousin verheiraten. – Nicht zuletzt dank ausgiebigem Musikeinsatz mag dieser Cocktail emotional durchaus einzufahren, doch filmische Mittel, die bei einer rein privaten Geschichte durchaus legitim sind, sind kaum zulässig für Stoffe, die sich um aktuelle soziale Probleme drehen.

Wie man aktuelle Themen ganz anders und weit überzeugender auf die Leinwand bringen kann, zeigt Hans-Christian Schmid ("Requiem", "Lichter"), dessen "Storm" als erster Höhepunkt der heurigen Berlinale gelten kann. Mit Handkamera und unruhigen Bewegungen, die die Anspannung der Figuren direkt auf den Zuschauer übertragen, versetzt der deutsche Regisseur das Publikum von der ersten Einstellung an mitten ins Geschehen – und bricht auch schon in der ersten Szene die Erwartungshaltung: Da wird ein Mann zwar als liebevoller Familienvater präsentiert, doch gleich darauf wird er als serbischer Kriegsverbrecher verhaftet.

"Drei Jahre später" erläutert ein Insert – und allein dieses Insert macht schon eindringlich klar, wie schwierig und aufwändig Prozessvorbereitung und -führung sein müssen. Jetzt aber soll eine Zeugenaussage zur Verurteilung vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal führen, doch die Verteidigung kann den Zeugen der Anklage der Lüge überführen. Die Anklägerin Hannah Maynard gibt den Fall dennoch nicht auf, stößt in Bosnien zwar auf eine Wand des Schweigens und Einschüchterungsversuche, kann dann aber doch eine in Deutschland lebende Bosnierin für eine Zeugenaussage gewinnen.

Im Gegensatz zu Lioret besticht Schmids Film - sein erster internationaler und großteils englisch gesprochener - durch den genauen Blick auf Situationen und den Verzicht auf emotionales Aufputschen. Präzise und konsequent inszeniert und in jeder Rolle perfekt besetzt erschüttern Szenen wie die Aussage der Zeugin gerade durch ihre fast dokumentarische Qualität zutiefst. Zudem gelingt es Schmid ebenso souverän wie zwingend die Felder Politik und Recht zu verknüpfen und klar herauszuarbeiten, dass auf internationaler Ebene Gerechtigkeit immer wieder der politischen Zweckmäßigkeit geopfert wird und über das Los des einzelnen Opfers, in diesem Fall das von während des vergewaltigten Frauen im Jugoslawienkrieg, kalt, um nicht zu sagen zynisch hinweggeschaut wird.

Dass all diese Themen bei Schmid freilich nie thesenhaft wirken, sondern durchgängig in der Geschichte und den Figuren aufgehen, Gefühle nie behauptet, sondern unmittelbar spürbar werden, darin liegt die Stärke dieses nicht nur vielschichtigen, sondern gerade in seiner Nüchternheit packenden Films. Was man immer wieder als Zeitungsnachricht liest, wird hier zu einer Geschichte mit Menschen aus Fleisch und Blut. Und trotz der Machtlosigkeit des Einzelnen gegen die Behörden – im Übrigen eine Parallele zum Eröffnungsfilm "The International" – gelingt es Schmid "Storm" nicht ganz hoffnungslos, wenn auch letztlich wohl nicht ganz realistisch enden zu lassen und der Zeugin zumindest persönliche Erlösung zuteil werden zu lassen.