59. Berlinale: Sehnsucht nach der heilen Familie

10. Februar 2009
Bildteil

Wie ein Ei dem anderen gleichen die Einstellungen gegen Ende von Francois Ozons "Ricky" und Lukas Moodyssons "Mammoth" einander. Während Ozons Film aber immerhin noch kontrovers aufgenommen wurde, fiel Moodysson hochkantig durch.

Am Ende steht in beiden Filmen ein Paar und eine etwa 8-jährige Tochter, die sich innig umarmen. Der Traum von der heilen Familie, der bei Ozon über 90 und bei Moodysson sogar über 120 Minuten nur geträumt wurde, scheint endlich möglich. Während Ozon aber konsequent auf das Dreieck Mutter, Tochter und Partner fokussiert, will Moodysson gleich von der ganzen Welt erzählen.

Die kalten Farben des Winters, einer sterilen Fabrik und eines tristen Sozialbaus bestimmen die Atmosphäre von Francois Ozons "Ricky". Großes Glück scheint es für Katie, die allein ihre Tochter Lisa erzieht, nicht zu geben, doch dann lernt sie den spanischen Mitarbeiter Paco kennen, stürzt sich in einen Affäre und bald wird ein Kind geboren. Knapp und mit vielen Ellipsen erzählt Ozon, und versucht dann die Dynamik, die sich durch die Geburt des Kindes in der Dreierbeziehung entwickelt, zu durchleuchten. Verschärft wird dies freilich durch den Umstand, dass Ozon dem Baby bald Flügeln wachsen lässt.

Da hockt Ricky dann zuerst in seinem Zimmer auf einem Kasten, fliegt alsbald aber auch durch den Supermarkt und entschwindet schließlich, als das Wunderkind der Presse vorgeführt wird, wie ein Drachen in die Lüfte. Die Flugszenen spielt Ozon dabei so ausgiebig aus, dass jedem klar sein, dass dieses Kind nur als Symbol und Katalysator fungiert. Mit Fantasy hat der Franzose nichts am Hut und Mystery-Thriller-Spannung baut er in einigen Momenten nur geschickt auf, um den Zuschauer in die Irre zu leiten. Auch um Medienkritik oder die Reaktion der Wissenschaft auf ein Wunderkind geht es höchstens am Rande, im Mittelpunkt steht eindeutig die Veränderung des Lebens durch die Geburt eines Kindes.

Auf das bizarre Moment muss man sich zweifellos einlassen und ganz gelungen ist "Ricky" auch wohl dann nicht. Denn unklar bleibt beispielsweise, wie eine Erklärung Katies gegenüber einer Sozialbehörde, mit der der Film einsetzt, einzuordnen ist. Andererseits geht Ozon auch seinen Weg weiter, wenn er nach konsequenter Fokussierung auf eine Paarbezeihung in "5x2" oder auf den Tod in "Die Zeit, die bleibt" sich nun – erstmals – auch mit Kindern und der Geburt auseinandersetzt.

Die Konzentriertheit von Ozon würde man sich von Lukas Moodyssons "Mammoth" jedenfalls wünschen. Sein neuer Film wirkt wie ein Gegenentwurf zu seinem größten Erfolg "Zusammen!". Schilderte der Schwede dort das warme und herzliche Zusammenleben in einer Stockholmer Wohngemeinschaft der 70er Jahre, so geht es in "Mammoth" um nichts weniger als die Vereinsamung des westlichen Wohlstandsmenschen, die Unfähigkeit zu sozialem Kontakt, wobei der Bogen in einer an Alejandro Inarritu erinnernden Weise gleich um die ganze Welt gespannt wird.

Im Zentrum steht ein von Gael Garcia Bernal und Michelle Williams gespieltes New Yorker Paar, er Computer-Spiel-Erzeuger, sie Ärztin, die die ganze Erziehung ihrer Tochter an eine philipinnische Haushälterin abgeschoben haben. Diese wiederum arbeitet in den USA nur, um ihren beiden Kindern auf den Philippinen ein besseres Leben zu ermöglichen. Den Computerspiel-Erfinder wiederum bringt ein Geschäftsabschluss bald nach Bangkog, wo er zunächst gelangweilt im Hotelzimmer herumhängt, dann aber das wahre Leben finden will und – "Zusammen!" lässt grüßen – in einem Bungalow am Strand für einige Tage wie ein Aussteiger lebt, ehe er geläutert nach New Yorker zurückkehrt und sich die Familie in die Arme fällt.

Ein Aussterben wie dem Mammut prophezeit Moodysson dem Menschen aufgrund einer Lebensführung, bei der jeder Bezug zum "wirklichen" Leben und den "wirklichen" Werten verloren gegangen ist. Penetrant spielt der Schwede mit dem Gegensatz der Welten, führt die innere Leere der westlichen Wohlstandsgesellschaft ebenso vor wie das Elend in den Ländern des Südens mit Müllmenschen auf den Philippinen und Sexgeschäft in Thailand, stellt ebenso penetrant wissenschaftliche Welterklärung und Religion oder über mehrere Besuche des Planetariums die kleine, schützenswerte Erde und das unermeßliche Universum einander gegenüber.

Hier stand am Anfang nicht eine wirkliche Story, sondern einzig der Gedanke Themen in thesenhafter Weise in einen Film umzusetzen. Nichts anderes als ein simples und hanebüchenes, in ärgster Weise moralisierendes Konstrukt konnte so herauskommen, das völlig zurecht dann auch bei der Uraufführung im Berlinale-Palast ausgebuht wurde.