59. Berlinale: Schräges aus Japan, Unaufgeregtes aus den USA

7. Februar 2009
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Mit konträren Filmen aus Japan und den USA startete bei der Berlinale das Internationale Forum des Jungen Films: Auf Sono Sions sehr schrägen "Love Exposure" folgte Bradley Rust Grays unaufgeregter "The Exploding Girl".

Die beiden Filme unterscheiden sich nicht nur in der Erzählweise, sondern auch in der Länge. Der Japaner Sono Sion erfindet in seiner Fabulierlust stets neue, mehr als nur überraschende Wendungen, sodass sein Film schließlich 237 Minuten benötigt, Gray kommt dagegen mit 79 – also exakt einem Drittel - aus.

Während "Love Exposure" an Handlungsfülle und Wendungsreichtum schier überbordet, schaut "The Exploding Girl" einfach dem Leben zu. Sono Sion erzählt von einem katholischen Japaner, der nach dem Tod seiner Frau Priester wird. Weil er von seinem Sohn Yu verlangt zu beichten, dieser aber keine Sünden vorzuweisen hat, beginnt Yu – da sexuelle Perversion die schlimmste Sünde ist – Mädchen unbemerkt unter den Rock zu fotographieren und entwickelt sich hierin mit artistischen Einlagen eine Meisterschaft, die bald sogar Schüler anlockt.

Parallel dazu wird von der von ihrem Vater misshandelten Yoko erzählt, der Yu aufgrund eines verlorenen Spiels als Drag "Miss Scorpion" verkleidet erstmals begegnet und sich sogleich in sie verliebt. Auch Yoko schwärmt für "Miss Scorpion" kann den dahinterstehenden Yu, mit dem sie bald nicht nur in die Schulklasse geht, sondern auch die Wohnung teilt, da Yukus Stiefmutter den seinem Priesteramt untreu werdenden Vater Yus heiraten will, nicht ausstehen. Weil das noch nicht genug ist, kommt als dritte auch noch eine Führerin eine Sekte dazu, die Yu und Yuku benutzen will, um den Priester und in Folge auch seine Gemeinde auf ihre Seite zu ziehen.

So schräg und überdreht, so übervoll an Einfällen wie sich das anhört ist der Film – und wenn man auch nur zweieinhalb der vier Stunden gesehen hat, hat man schon viel gesehen. Trashig wird hier von Kindesmisshandlung, Katholizismus und Sektenwahn, von Prägung durch die elterliche Erziehung erzählt. So überdreht das freilich auf der Handlungsebene ist, so nah ist Sion seinen Figuren mit der Kamera, fängt Situationen quasidokumentarisch wie einem Homemovie ein, wodurch "Love Exposure" durch Frische und scheinbare Authentizität den Zuschauer ins Geschehen hineinzieht.

Wo Sion vier Stunden mit Hochdruck erzählt, lässt sich Bradley Rust Gray 79 Minuten lang Zeit. In "The Exploding Girl" erzählt der Amerikaner von der 20-jährigen Ivy, die von der Uni in die Sommerferien nach New York heimkehrt. Von Anfang an spürt man, dass ihre Beziehung zu ihrem Freund Greg, der den ganzen Film über nur per Handy präsent ist, zumindest in der Krise steckt. So lässt Ivy ihren Schulkollegen Al, dessen Zimmer im elterlichen Haus vermietet wurde, gern bei sich und ihrer Mutter einziehen.

Nichts passiert im Grunde, auf dramaturgische Steigerung wird verzichtet, denn unaufgeregt reiht Gray alltägliche Szenen von einer Party, einem Besuch des Tesla-Museums, Gesprächen auf der Straße oder in der Wohnung, oder den Besuch einer Taubenzucht über den Dächern von New York aneinander. Man spürt auch, dass Al Ivy liebt, doch ihre Gefühle können sie sich nicht gestehen und in langen Einstellungen fängt Gray Ivys Verlorenheit, ihre Suche nach einem Lebensweg ein. – Hier schaut man nur dem Leben zu und, weil die Schauspieler und die Szenen so echt und ungekünstelt wirken, ist das, wenn man sich darauf einlässt, spannender und vor allem poetischer als viele actiongeladene Kinogeschichten.