46. Solothurner Filmtage: Starker Jahrgang

Ausgesprochen vielfältig und niveauvoll präsentierte sich der Schweizer Film bei den heurigen Solothurner Filmtagen, die mit 53.000 Kinoeintritten erneut einen Besucherrekord verzeichnen konnten. Nicht nur im Dokumentarfilm, sondern auch im Spielfilm konnte man interessante Entdeckungen machen. Dass die Filme dabei in Zeiten der Globalisierung vielfach außer ihrem Regisseur keinen Bezug zur Schweiz mehr haben, kann man kaum kritisieren.

In den 70er Jahren erkundeten die Schweizer Dokumentarfilmer vorwiegend ihr Heimatland. Heute richten sie ihre Kamera stärker auf internationale Themen oder aufs ganz Private. Beispiele für ersteres sind Jean-Stéphane Brons "Cleveland contre Wall Street", der mit dem mit 60.000 Schweizer Franken dotierten "Prix de Soleure" ausgezeichnet wurde, und Nicolas Wadimoffs "Aisheen – Still Alive in Gaza".

Bron inszeniert einen Prozess nach, den die Stadt Cleveland gegen 21 Banken der Wall Street anstrebte, der von den Banken aber verhindert wurde. Grund des Vorgehens von Cleveland waren die von den Banken angeordneten Zwangsversteigerungen, durch die inzwischen schon über 100.000 Bewohnern der Stadt delogiert wurden.

Bron verzichtet auf jeden Kommentar, lässt die realen Protagonisten auftreten und wie in echt den Prozess nachspielen. Unübersehbar ist, dass der Filmemacher auf der Seite der Kläger steht und von Anfang an übernimmt auch der Zuschauer diese Perspektive, gewinnt er in den Zeugenaussagen doch schnell einen Einblick in die Not der Betroffenen, aber auch die Rücksichtslosigkeit der nur an Profit denkenden Vertreter der Banken. So erteilt dieser trotz der weitgehenden Beschränkung auf Talking Heads packende Dokumentarfilm dem Zuschauer eine eindrückliche Lektion in Sachen "Kapitalismus in action".

Auf jeden Kommentar verzichtet auch Nicolas Wadimoff in "Aisheen – Still Alive in Gaza". Ausgehend von den israelischen Raketenangriffen im Winter 2008/09 holt Wadimoff zu einem Streifzug durch den dicht besiedelten Küstenstreifen aus, zeigt in zahlreichen Episoden, aber nicht nur Not und Elend, sondern auch die Hoffnung und Lebensfreude, die stärker sind als Gewalt und Vernichtung.

Einen Gegenpol zu diesen weltpolitischen Filmen stellte beispielsweise "Beyond this Place" dar, in dem der 38-jährige Kaleo La Belle mit seinem Vater, zu dem er seit seinem vierten Lebensjahr so gut wie keinen Kontakt mehr gehabt hatte, zu einer Rennradtour durch den Bundesstaat Oregon aufbricht. Kaleo versucht seinem Vater ein Geständnis abzuringen, in dem er zugibt, seine Verantwortung als Vater vernachlässigt zu haben, doch Cloud Rock La Belle negiert diese Verantwortung konsequent und beharrt auf der Freiheit als einzig wirklich wichtigem und relevantem Wert. Wie auf verschieden Planeten bewegen sich so Vater und Sohn, und dennoch akzeptiert der filmende Sohn, der mit Archivmaterial und Stellungnahmen von Bekannten sowohl seine eigene Geschichte als auch die fast 40-jährige Hippie-"Karriere" seines Vaters aufarbeitet, am Ende den Vater.

In ganz persönliche Bereiche entführt auch Res Balzli, der in "Bouton" vom Sterben einer jungen Puppenspielerin erzählt. Wie "Aisheen – Still Alive in Gaza" verbreitet aber auch dieser bewegende Dokumentarfilm nicht Pessimismus, sondern verbreitet Lebensfreude. Immer wieder fand sich in den in Solothurn gezeigten Filmen diese Stimmung der Hoffnung trotz hoffnungsloser Situation. Lea Pools Parkinson- und Sterbehilfedrama "La dernière fugue" ist ebenso davon bestimmt wie Michael Schaerers "Stationspiraten". Ganz auf eine Krebsstation für Jugendliche konzentriert sich Schaerer, zeigt dank frischer und temporeicher Inszenierung und spielfreudiger junger Schauspieler überzeugend, wie seine drei Jugendlichen trotz Chemotherapie und Amputation eines Beins den Lebensmut nicht verlieren, sondern sich in ihrer Extremsituation trotz aller Tiefs den Humor nicht nehmen lassen. So ließen diese Filme die gewohnt frostigen Temperaturen in der winterlichen Barockstadt an der Aare vergessen, wärmten innerlich und weckten die Lust auf mehr.