46. Solothurner Filmtage: Kalter Krieg, Amerikaträume und Ceausescus Ende

Während Tobias Wyss in "Flying Home" mit viel Liebe und Humor das Leben seines 1939 in die USA ausgewanderten Onkels nachzeichnet, entzaubert Pascal Verdosci in seinem Politthriller "Manipulation" die Vorstellung von der Schweiz der 50er Jahre als heimeligem Idylle gründlich. Diskutiert Verdosci im historischen Fall durchaus aktuelle Themen, fehlt diese Aktualität "Die letzten Tage der Ceausescus" trotz faszinierender Kombination mehrerer Ebenen.

"Flying Home" von Lionel Hampton war das Lieblingsmusikstück von Tobias Wyss´ Onkel Walter. 1939 ist dieser Autoingenieur in die USA ausgewandert, hat in den 40er Jahren ein revolutionöres Hybridauto mit Elektro- und Benzinmotor entworfen, das aber nie in Produktion ging. In den späten 50er Jahren begab er sich dann auf eine Weltreise, ließt sich in den 60ern in Japan nieder und lebte dann von 1970 bis zu seinem Tod 2001 auf Hawaii – und hat sich doch immer nach seiner Mutter in der Schweiz gesehnt, an die er rund 500 Briefe schrieb, die er aber nur zweimal für ein paar Wochen besuchte.

Ein Container mit Materialien ließt er bei seinem Tod zurück, darunter 25000 Dias, denn Fotografieren gehörte neben Reisen und Sprachen zu den großen Leidenschaften von Walter Wyss. Sein Neffe Tobias war schon immer vom Onkel in Amerika fasziniert, begab sich auf eine Spurensuche, arbeitete das Material auf, besuchte ehemalige Arbeitsstätten und Bekannte in den USA. Ungeheuer aufwändig muss die Recherchearbeit gewesen sein, aber man spürt im Dokumentarfilm auch die Liebe, mit der sich Tobias Wyss in das Leben seines Onkels vertiefte.

Mit großer Leichtigkeit verknüpft er den persönlichen, durchaus auch selbstironischen Kommentar mit Briefen seines Onkels und Antwortbriefen der Mutter, alte Fotos mit Interviews mit Bekannten, die der Besuch des Regisseurs wieder selbst zum Nachforschen anregte, und Videofilmen, die Tobias Wyss selbst machte, als er den Onkel Anfang der 70er Jahre und kurz vor dessen Tod auf Hawaii besuchte.

Da weitet sich diese Hommage von der Biographie zur Geschichte einer Mutter-Sohn-Beziehung und schließlich zur Frage, ob denn der Onkel in Amerika das gefunden hat, was er gesucht hat. Deutlich wird da, dass sich der Traum von der Freiheit nicht erfüllte und Walter Wyss nie einen Ersatz für die Heimat gefunden hat, die er verlassen hat, andererseits aber auch nicht mehr zurück konnte, und letztlich Zeit seines Lebens einsam blieb.

Auf das Abenteuer einer solchen Emigration würde sich der Schweizer Bundespolizist Urs Rappold (Klaus Maria Brandauer) wohl nie einlassen. Er ist in den 50er Jahren ein braver Staatsdiener. In dieser Zeit des Kalten Krieges, in der unmittelbar nach der sowjetischen Niederschlagung des Ungarnaufstands im Jahre 1956 Angst vor sowjetischer Subversion herrscht, denkt er sich nicht viel dabei, als er den Journalisten Werner Eiselin als Spion entlarven soll. Geschockt ist er zwar von Eiselins Selbstmord während des Verhörs, doch macht er weiter Dienst nach Vorschrift und nimmt ein Jahr später den PR-Berater Harry Wind (Sebastian Koch) in die Mangel.

Im Laufe dieses Verhörs muss Rappold aber zunehmend erkennen, wie mit ihm und der Bevölkerung gespielt wird, wie Spione erfunden werden, um die Angst vor der Sowjetunion zu schüren und die Erhöhung des Militärbudgets sowie die Genehmigung des Atomwaffenprogramms durchzusetzen.

Auf Fakten beruht Walter Matthias Diggelmanns 1962 erschienener Roman "Das Verhör des Harry Wind", den Pascal Verdosci unter dem Titel "Manipulation" verfilmte und der PR-Berater Harry Wind trägt Züge des realen Werbemanns Rudolf Farner. Verdoscis Inszenierung ist zwar bieder, kommt über solides Fernsehfilmniveau kaum hinaus. Auf den ersten Blick überzeugend wirkt zwar die Farbdramaturgie, bei der durch weitgehende Reduzierung auf Schwarzweiß und Grautöne, die bedrückende Atmosphäre evoziert werden soll. Verdosci treibt das aber so weit, dass es schon wieder geschmäcklerisch wirkt und die beklemmende Wirkung verpufft.

Dass "Manipulation" dennoch packt liegt an der weitgehenden Beschränkung auf das Verhör im Polizeirevier und dem wendungsreichen Katz- und Maussspiel, das sich die beiden glänzenden Hauptdarstellern Klaus Maria Brandauer und Sebastian Koch dabei liefern. Unübersehbar werden in dieser Konfrontation in historischem Gewand aktuelle Fragen diskutiert. Da geht es nicht nur um Loyalität zum Staat und eigenes Gewissen, sondern auch um Lüge und Wahrheit, um Manipulation des Volkes und um das gezielte Schüren von Ängsten um Stimmung zur Durchsetzung wirtschaftlicher oder politischer Interessen zu erzielen.

Diese Aktualität fehlt "Die letzten Tage der Ceausescus" leider. Faszinierend ist zwar, wie Marcel Bächtiger, Milo Rau, Simone Eisenring und Jens Dietrich ein Theaterstück über den Prozess gegen die Ceausescus mit Aussagen von Zeitzeugen, Stellungnahmen der Schauspieler zu ihrer Wahrnehmung der Ereignisse vom Dezember 1989 und Archivmaterial von den damaligen Ereignissen kombinieren, doch entsteht kein Mehrwert daraus. Es bleibt bei der historischen Rekonstruktion und die Verknüpfung von authentischem Videomaterial und Theaterinszenierung löst beim Zuschauer zwar Erstaunen über die Übereinstimmung und das punktgenaue Spiel der Theaterschauspieler aus, kann aber letztlich keine grundsätzlichen Fragen nach Inszenierung und Realität aufwerfen, da die Differenz der beiden Ebenen ja immer offensichtlich ist.