Seit zwei Jahren setzt sich Christoph Schlingensief wieder stärker mit dem Medium Film auseinander; in seiner Installation »18 Bilder pro Sekunde«, die eigens für die ehemalige Ehrenhalle im Haus der Kunst entsteht, spiegelt sich das deutlich wider. Zwei filmische Werkkomplexe stehen im Zentrum: African Twin Towers sowie Kurzfilme, die derzeit während der Regiearbeit für den Fliegenden Holländer am Teatro Amazonas in Manaus, Brasilien entstehen.
In African Twin Towers geht es um Richard Wagner, den Anschlag vom 11. September, Hagen von Tronje, Odin und Edda, lebende Hereros (Angehörige eines afrikanischen Hirtenvolks) und tote, Geister der Gegenwart und der Vergangenheit. »Drehort« ist eine »sich drehende Scheibe«, von Schlingensief »Animatograph« genannt, auf der ein Schiff mit zwei Masten steht. An diesen Masten hängen die Twin Towers. Das alles stand in Lüderitz in Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
Inszeniert wird deutsche Gegenwart. Jeden Tag wird der Film von Neuem begonnen, unter ständiger Beobachtung diverser Kameras. Schlingensief ist diesmal alles: Regisseur, Schauspieler und einer von vier Kameraleuten. Er verbindet die nordische, europäische Sagenwelt mit afrikanischem Schamanentum und der Gegenwart, die Musik von Patti Smith mit Texten von Elfriede Jelinek und dem Spiel der Fassbinder-Schauspielerin Irm Hermann. Gleichzeitig entwirft er ein Porträt der Alltäglichkeit, in dem u.a. auch »Helden« der Politik auftreten. Er ist, metaphorisch ausgedrückt, ständig auf der Suche nach Auf- und Entladungen, nach Hell-Dunkel-Kontrasten.
In Manaus dreht Schlingensief in Zusammenhang mit seiner Arbeit am Fliegenden Holländer 18 Kurzfilme. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der Erlösungsgedanke. Dieses Thema hat Richard Wagner fortwährend beschäftigt, und noch in seiner letzten Oper, Parsifal (1882), die Schlingensief 2004 für die Bayreuther Festspiele inszeniert hat, suchte er es zu bewältigen. Nach Schlingensief sucht der Fliegende Holländer ein Bild, das ihn erlöst, und findet es nicht. Auch Senta als ihn liebende Frau hat ein Bild, das sie eingelöst haben will, und wird damit nicht glücklich.
Die Filme aus Manaus bettet Schlingensief in eine Installation ein, die von einem überdimensionalen Karnevalswagen beherrscht wird; dort sitzen Jesus und Mohammed beim Abendmahl. Unter dem Karnevalswagen lagern verschiedene Schwimmbad-Umkleidekabinen, in denen im 16 mm-Format die Filme aus Manaus und Afrika rattern. In einer Art Krypta wird auf 18 Monitoren das vollständige Material des Films African Twin Towers gezeigt, insgesamt 18 Stunden. Trotz des gemeinsamen Ratterns der Projektoren und der Ästhetik der verwendeten 16 mm-Bolex-Kamera hat jeder Raum sein eigenes Thema und bildet einen eigenen Planeten. Mit Umlaufblende, handgemachter Auf- und Abblende, zum Teil selbst entwickeltem Material, Hinwendung zum Korn des Schwarz-weiß-Materials und kurzen Loops erreicht Schlingensief eine Beschleunigung, die mitreißt. Und doch gibt es durch den Blick der Kamera ein Zentrum, das einen am Boden hält.
Schlingensiefs Radikalität liegt in der subjektiven Auswahl und dem hierarchiefreien Nebeneinander von Bildern, Themen und Personen. Er glaubt an die sinnliche Macht der Bilder und an die Fähigkeit des Betrachters, sich vom Verlangen nach Linearität zu befreien. Nach seinen übergreifenden Installationen u.a. in Neuhardenberg (Animatograph II) und dem Burgtheater Wien (Area 7), in denen er die Grenzen des Theaters in Richtung Installation überschritt, hat Schlingensief nun seine erste größere Einzelpräsentation in einer Kunstinstitution.
18 Bilder pro Sekunde
25. Mai bis 16. September 2007