100 Jahre Kunsthaus Zürich

Im Jahr 2010 feiert das Kunsthaus Zürich sein 100-jähriges Bestehen. Das älteste kombinierte Sammlungs- und Ausstellungsinstitut der Schweiz eröffnete 1910 das von Karl Moser im späten Jugendstil gebaute Museum am Heimplatz. Im Jubiläumsjahr präsentiert es die an Schenkungen reiche Sammlung und setzt mit einer grossen Picasso-Schau seine Tradition bedeutender Ausstellungen fort.

Bis 2015 soll die künstlerische Idee eines dynamischen Museums für das 21. Jahrhundert umgesetzt und die Erfolgsgeschichte der seit 1787 vom Bürgersinn getragenen Zürcher Kunstgesellschaft um ein spannendes Kapitel – die Kunsthaus Erweiterung – ergänzt werden.

Am 17. April 1910 kann auf dem der Zürcher Kunstgesellschaft von Stadtrat Landolt vermachten Landoltgut das "Kunsthaus" eröffnet werden – nicht "Museum" und nicht "Kunsthalle", wie der Architekt Karl Moser ausführte, sondern beides. Die Namensgebung "Kunsthaus" steht bewusst in der Tradition anderer demokratischer Institutionen wie Rat- oder Schulhaus. Bis heute ist das Haus geprägt von Offenheit und Kontinuität.

Der erste Konservator, Wilhelm Wartmann (Direktor bis 1949), konzentriert sich angesichts der überschaubaren Bestände zunächst auf Schweizer Kunst; neben der damals besonders interessanten aktuellen Produktion bildet er Werkgruppen mit spätgotischer Malerei und Gemälden von Johann Heinrich Füssli. Als sich 1917 anlässlich der grossen Ausstellung Ferdinand Hodlers zeigt, dass die Ankaufsmittel der Kunstgesellschaft ungenügend sind, gründet der Seidenindustrielle Alfred Rüetschi die "Vereinigung Zürcher Kunstfreunde", die die Sammlung des Kunsthauses bis heute regelmässig mit bedeutenden Erwerbungen erweitert. Er selbst stellt mehrere grosse Kompositionen und bedeutende Landschaften Hodlers zur Verfügung.

1920 erhält das Kunsthaus als Legat die Sammlung von Hans Schuler und damit erstmals Werke des französischen Impressionismus und Postimpressionismus: Renoir, Cézanne, van Gogh und Bonnard. 1922 organisiert Wartmann nach langjährigen Vorbereitungen seine erste Ausstellung mit Edvard Munch und beginnt, die grösste Munch-Sammlung ausserhalb Skandinaviens aufzubauen. 1925 erweitert Karl Moser das Kunsthaus. 1929 beginnt der Banquier Hans E. Mayenfisch für das Kunsthaus Gemälde lebender Schweizer zu kaufen; bei seinem Tod 1957 war der Bestand auf über 450 Werke angewachsen. Der Nobelpreisträger Leopold Ruzicka errichtet 1949 mit seiner hervorragenden Sammlung niederländischer Malerei des 17. Jahrhunderts eine Stiftung.

René Wehrli löst 1950 Wilhelm Wartmann als Direktor ab; er legt das Hauptgewicht auf die französische Malerei seit Monet; im Anschluss an die Monet-Retrospektive werden – unterstützt durch den Industriellen Emil Georg Bührle – die beiden grossen Seerosen-Panneaux erworben. 1958 kann der seit 1944 von den Gebrüdern Pfister geplante und von Emil Bührle finanzierte, frei unterteilbare grosse Ausstellungssaal eröffnet werden.

Eine Gruppe von Kunstfreunden um die Gebrüder Bechtler errichten 1965 mit der bedeutendsten Sammlung von Werken Alberto Giacomettis eine Stiftung, der der Künstler weitere Arbeiten schenkt. Nelly Bär stiftet 1966 den Nelly und Werner Bär-Saal mit bedeutenden Skulpturen von Rodin bis Richier. Dank des Seidenfabrikanten und Kronenhalle-Besitzers Gustav Zumsteg, und unterstützt von verschiedenen Mäzenen sowie dem Künstlers selbst, entsteht in den siebziger Jahren die umfangreiche Chagall-Sammlung. Erna und Curt Burgauer beginnen, dem Museum moderne Kunst zu schenken. 1976 wird der Erweiterungsbau von Erwin Müller eröffnet, der sich besonders für die zeitgenössischen Formate eignet. Im selben Jahr löst Felix Baumann René Wehrli als Direktor ab.

Mit Hilfe zahlreicher Spender wird 1980 eine umfassende Sammlung der Dada-Bewegung aufgebaut. Die Johanna und Walter L. Wolf-Sammlung erweitert 1984 den Bestand französischer Kunst vom Impressionismus bis zur Klassischen Moderne wesentlich. In Form einer Stiftung übergeben Kunsthändler Betty und David M. Koetser 1986 ihre bedeutenden niederländischen Gemälde, Werke des italienischen Barocks und des venezianischen Settecento. Anlässlich des hundertfünfzigsten Geburtstags der Fotografie erhält das Kunsthaus 1989 von Rohstoffhändler Marc Rich eine grosszügige Schenkung: 74 Fotografien, vorwiegend Originalabzüge, welche die Entwicklung der klassischen künstlerischen Fotografie von der Mitte des 19. Jahrhunderts an repräsentieren. Der Unternehmer Walter Haefner schenkt 1995 dem Kunsthaus zwölf hervorragende Gemälde von Monet bis Magritte.

Als erstes Kunstmuseum der Schweiz geht das Kunsthaus 1998 mit einer eigenen Homepage online. Bis 2000 wird die Villa Tobler als neuer Sitz der Direktion und zu Repräsentationszwecken denkmalpflegerisch renoviert. Im September 2000 folgt Christoph Becker als Direktor auf Felix Baumann und das Stimmvolk der Stadt Zürich verabschiedet einen Kredit von CHF 28,5 Mio. für die Sanierung des Kunsthauses. Von 2001 bis 2005 werden die Sammlungs- und Ausstellungsräume von Grund auf saniert und mit einer Accrochage zeitgenössischer Neuankäufe wieder eröffnet. In dieser Zeit bleibt das Kunsthaus immer geöffnet. Die Werke Alberto Giacomettis erhalten in dem frei werdenden ehemaligen Verwaltungsflügel des Moserbaus eigene Räume.

Die Grafische Sammlung wird mit 55 Meisterstichen des Renaissance-Künstlers Albrecht Dürer (1471-1528) beschenkt. Sie stammen von Landammann Dietrich Schindler. 2001 beschliesst der Kunstrat ein neues künstlerisches Leitbild. Interne Arbeitsgruppen und ein öffentliches Expertenhearing zur Zukunft des Kunsthauses unterstützen die Planungen für eine Modernisierung der Strukturen. Es wird vermehrt zeitgenössische Kunst erworben. Alte Meister aus separaten Beständen werden zu einer gemeinsamen Präsentation integriert und finden international Beachtung. Bruno und Odette Giacometti erfreuen das Kunsthaus 2006 mit einer Schenkung an die Alberto Giacometti Stiftung. Deren Bestand erhöht sich um über 90 Bronzen und Originalgipse und ist der bedeutendste weltweit.

Im Mai 2002 stellen der Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, Thomas W. Bechtler, Direktor Christoph Becker und Stadtpräsident Elmar Ledergerber den Bedarf für einen Erweiterungsbau am Heimplatz vor. Walter B. Kielholz, seit Juni 2002 neuer Präsident der mit inzwischen rund 20"000 Mitgliedern zu den grössten europäischen Kunstvereinen zählenden Zürcher Kunstgesellschaft, unterstützt diese Pläne. Sie haben u.a. zum Ziel, Schenkungen weiterhin entgegennehmen und zukünftig 20 anstatt wie bisher 10 Prozent des eigenen Bestandes zeigen zu können – insbesondere mehr Kunst ab 1960. Das Angebot soll auf die Bedürfnisse des Publikums im 21. Jahrhundert angepasst und der Erweiterungsbau zusammen mit der Stadt Zürich und der Stiftung Zürcher Kunsthaus bis 2015 realisiert werden. Der Entwurf von David Chipperfield ging 2008 als Sieger aus einem Architekturwettbewerb hervor. Das unterirdisch verbundene Ensemble aus dem älteren und dem neuen Gebäude wird zum Neuen Kunsthaus, dem grössten Kunstmuseum der Schweiz. Unter dessen Dach, so sieht es eine 2006 getroffene Vereinbarung mit der weltbekannten Stiftung Sammlung E.G. Bührle vor, kann das nach Paris bedeutendste Zentrum der französischen Malerei und des Impressionismus entstehen.

Die Weichenstellung über den zukünftigen internationalen Rang des Kunsthaus Zürich erfolgt voraussichtlich 2011/2012 mit der Volksabstimmung über den Objektkredit zur Kunsthaus-Erweiterung. Ist dieses gemeinsam mit der Stadt Zürich und der Stiftung Zürcher Kunsthaus verantwortete Projekt erfolgreich, sollen ab 2015 jährlich 400"000 Besucher angezogen werden, ein Plus von mehr als 30 Prozent. Für das Kunsthaus ist diese vierte Erweiterung ein bedeutender Meilenstein in seiner Geschichte und für die Stadt Zürich eine sich selten bietende Chance, im internationalen Standortwettbewerb beim Faktor Kultur einen Spitzenplatz zu belegen. Unter denen, die sich für das Projekt begeistern, sind hochkarätige Sammler und Mäzene. Wie der Blick zurück über 100 Jahre Kunsthaus zeigt, waren häufig sie es, die eine ambitionierte Direktion unterstützten und zur Entwicklung der Sammlung signifikant beigetragen haben. Dank mäzenatischer Beiträge, denjenigen der Mitglieder und der öffentlichen Hand, ist es dem Kunsthaus Zürich stets gelungen, die infrastrukturelle Voraussetzung für eine vorbildliche Präsentation und zeitgemässe Vermittlung zu schaffen. Ganz Zürich hat davon profitiert und die Signale, dass diese Erfolgsgeschichte über das Jubiläumsjahr hinaus fortgeschrieben werden kann, sind positiv.

So finden gerade im Jubiläumsjahr 2010 Ausstellungen statt, denen bereits grosses Interesse entgegen gebracht wird: von "Van Gogh, Cézanne, Monet – Die Sammlung Bührle zu Gast im Kunsthaus Zürich", über die Rekonstruktion der ersten öffentlichen Gemäldesammlung der Schweiz, dem Gessner-Kabinett, bis zur Hommage an Pablo Picassos und seiner weltweit ersten Museumsausstellung, die 1932 im Kunsthaus Zürich stattfand und auf welche nie wieder eine derart umfassende Präsentation seiner Werke aus den ersten 35 Schaffensjahren folgte.