Wechselspiel aus abbildender Hommage und virtuoser Überformung

Es scheint, als sammle Elisabeth Oberrauch Ideen und Projekte für ein zukünftiges Museum, in welchem die Kunst ebenso Platz findet wie die wunderbare Welt des Staunens über die Natur. Mit der Schau "Naturalien-Kabinett" gelingt ihr eine ganz besondere Ausstellung: Aus Papier, ihrem bevorzugten Werkstoff, mit dem sie weltweit Anerkennung erlangt hat, kreiert sie natürliche Objekte vom Tannenzapfen bis zur Koralle. Pflanzen und andere Lebewesen werden auf diese Weise gesammelt und in eigenen, selbst entworfenen Vitrinen ausgestellt.

Das Papier, meisterhaft verarbeitet, verleiht den Formen einerseits Eleganz und Materie, andererseits eine außerordentliche Leichtigkeit. Auch ist es der Stoff, aus dem die Bücher sind; und diese waren lange die Grundlagen unseres schulischen Lernens, sind Wissensspeicher. Elisabeth Oberrauch schafft mit den Papierobjekten Arbeiten von großer Feinheit, die wie in einer Taxonomie der natürlichen Schönheit bestaunt werden können. Gleichzeitig verweisen sie auf jene Synthese von natürlich und künstlich, die der künstlerischen Darstellung eigen ist. Ihre Arbeiten sind kein Produkt einer ausschweifenden, unruhig vagierenden Kreativität, vielmehr sind sie Metaphern der Wissenschaft.

Ähnliches kennen wir ja von den Naturwissenschaften: In Vitrinen, Nischen und an Wänden stellen sie Unergründliches und Wunderbares aus, als wäre es völlig normal. Die Künstlerin gestaltet Objekte, die an bekannte organische Gestalten wie Blumen oder Tiere, Insekten oder Früchte erinnern und ordnet sie an wie in einer organisierten taxonomischen Welt, wo Ordnung, Schutz und Bewahrung im Vordergrund stehen.

Die Natur ist kostbar, sie ist außerordentlich und sie bringt einzigartige Formen hervor. Um diese künstlerisch zu verarbeiten arbeitet Oberrauch mit einem ebensolchen natürlichen Stoff, dem Papier und formt daraus ein Paralleluniversum. Die künstlerische Nachahmung der Natur führt wieder zu dieser zurück. Der Zellulosebrei, aus dem Papier entsteht, stammt aus der pflanzlichen Welt und dient seit jeher der "Interpretation" und "Imitation" unterschiedlichster Materialien. So ersetzte er im 16. Jahrhundert das teurere und schwerere Holz bei der Herstellung von Heiligenstatuen. Papier ist das geeignete Mittel, um auch die unwahrscheinlichsten Formen darzustellen.

Insgesamt erinnert die Ausstellung von Elisabeth Oberrauch an eine Wunderkammer, an ein Naturalien-Kabinett wie wir es von verschiedenen Europäischen Höfen kennen. Aber auch an ein Museum, gegen das Vergessen errichtet, an einen Ort, an dem die vorgefundenen Formen Vorrang gegenüber der künstlerischen Aneignung dieser Wunder haben. Die Liebe zur Natur mündet in ein Wechselspiel aus abbildender Hommage und virtuoser Überformung. Die technische Vollkommenheit, die Feinheit und die Poesie dieser Werke sind auch Ausdruck einer großen Harmonie von Material und Form. Das Papier ist nicht nur der Stoff der künstlerischen Arbeit, sondern auch Ausdruck einer Anschauung von Kunst als etwas von der Natur Verschiedenes, das aber immer wieder zu dieser zurückstrebt.

Der Illusionismus dieser nachahmenden Gestaltung führt zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Medium Papier und den natürlichen Objekten, die somit ins Zentrum einer neuen Kunst-Geschichte rücken. Elisabeth Oberrauchs Arbeit findet dafür einen Ausdruck, wie er in der Tradition der Aneignung der Natur durch den Menschen steht. Es ist das Künstliche im edelsten Sinn, eine Schöpfung im Spannungsfeld von Natur und Kultur, die in der Kunst ihre perfekte Synthese findet.

Elisabeth Oberrauch, geboren 1950 in Meran. 1971/72 Meisterklasse für Malerei an der Höheren Techn. Bundeslehranstalt Graz. Weitere Ausbildungen in Salzburg und Venedig. Organisatorin von bisher 16 interdisziplinären Arbeitswochen für Künstler; Illustratorin von Büchern für in- und ausländische Verlage; Werke im privaten und öffentlichen Besitz. Zahlreiche Ausstellungen in Italien, Japan, Österreich, Deutschland, Südkorea und in der Schweiz. 

Elisabeth Oberrauch – Naturalien-Kabinett
3. Mai bis 2. Juni 2013