IFFI 2011: Regiegrößen und Newcomer

Mit dem Kubaner Daniel Díaz Torres, der mit dem Ehrenpreis des IFFI ausgezeichnet wurde, und Mahamat Saleh-Haroun aus dem Tschad besuchten zwei Regisseure von Weltrang mit ihren neuen Filmen das 20. Internationale Film Festival Innsbruck, doch auch einige kleinere Filme mussten sich daneben nicht verstecken.

Mehrere kurze Filme von Pier Paolo Pasolini sowie ein ausführliches "Best of" aus 20 Jahren Film Festival Innsbruck konnten den Blick auf die neuen Produktionen heuer leicht verstellen. Etwas unausgewogen war auch der Wettbewerb. Ein beeindruckender Film ist Mahamat-Saleh Harouns "Un homme qui crie" zweifelsohne, doch dieser Preisträger des letztjährigen Filmfestivals von Cannes, passt so wenig in eine Konkurrenz, die den Fokus auf kleine Filme unbekannter Regisseure legt, wie die Komödie "Lisanka" des kubanischen Routiniers Daniel Diaz Torres. Und fragen durfte man sich auch, was der slowenische Film "Oca" ungeachtet seiner großen Qualitäten in einem Wettbewerb verloren hat, der auf die Länder des Südens fokussiert.

Ganz in diese Schiene passt auch "Letters from the Desert" der Italienerin Michela Occhipinti nicht. Ein westlicher Blick auf Indien kennzeichnet nämlich diesen dokumentarischen Spielfilm. Von hektischen Bildfolgen vom Leben in einer indischen Großstadt verabschiedet sich Occhipinti schon nach dem Vorspann und beschränkt sich darauf einem Briefträger bei seinen Wegen durch die Wüste Thar zu folgen. Mal ist Hari mit dem Fahrrad auf menschenleeren Straßen unterwegs, dann stapft er wieder zu Fuß über Sanddünen zu abgelegenen Hütten, wo er selbst den Adressaten die Briefe von ihren weit entfernt lebenden Verwandten vorliest oder zuhört, wie die Empfänger sie lesen.

Praktisch nichts passiert in diesem Film, nicht nur entschleunigt, sondern auch entleert wirkt "Letters from the Desert", der ganz auf grandiose Wüstenbilder vertraut. Occhipinti mutet dem Zuschauer viel zu, strapaziert seine Geduld, lässt ihn aber in dieser weitgehend stillen Beobachtung auch tief in diesen langsamen Lebensrhythmus eintauchen und über sein eigenes, vielfach von Hektik bestimmtes Leben reflektieren. Von der Moderne bleibt aber auch diese Welt nicht unberührt, denn zunehmend werden Mobilfunkmasten in der Wüste errichtet, rückt Telekommunikation an die Stelle der Briefe, sodass auch der Briefträger überflüssig zu werden droht.

Weit stärker als in dieser "Hymne auf die Langsamkeit", wie der Film im Untertitel heißt, thematisiert der aus Burkina Faso stammende Kollo Daniel Sanou in "Le poids du serment – Das Gewicht des Gelübdes", der mit dem mit 5000 Euro dotierten Filmpreis des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, den Aufeinanderprall von Tradition und Moderne. Von einem Dorf, in dem Magie und alte Riten gepflegt werden, führt der Weg in die Stadt, wenn ein Stammesangehöriger, der auf der Jagd bei einem Mordanschlag sein Gedächtnis verloren hat, von Missionaren auf einer Landstraße aufgelesen wird. Aus Nyama wird da bald Christophe, und vom Sektenführer wird er beim Lukrieren von Spenden kräftig eingespannt.

Nicht differenziert, sondern holzschnittartig sind die beiden Welten gezeichnet, einseitig negativ die geldgierige, in Korruption verwickelte und auch vor sexuellem Missbrauch nicht zurückschreckende christliche Sekte und zu positiv die traditionelle Dorfgemeinschaft. Und im pädagogisch-aufklärerischen Gestus ist "Le poids du serment" auch nicht gerade ein moderner Film, sondern erinnert vielmehr an das afrikanische Kino der 70er und 80er Jahre. Andererseits versteht es Kollo Daniel Sanou durchaus durch geschickten Aufbau der Geschichte, zügige Erzählweise sowie markante Typen- und Konfliktzeichnung zu unterhalten und aktuelle Problemfelder prägnant aufzuzeigen.

Als formal weit aufregender erwies sich aber das iranische Ehedrama "A Man Who Ate His Cherries". Wie im heurigen Berlinale-Sieger "Nader and Simin – A Separation" geht es um eine Scheidung: Zari möchte ihren Mann nach mehreren Jahren Ehe endgültig verlassen, kann er ihr doch weder den Kinderwunsch erfüllen noch einen gewissen materiellen Wohlstand bieten. Um ein neues Leben zu beginnen, fordert sie die Mitgift zurück, die Reza aber längst aufgebraucht hat. Verzweifelt versucht er das Geld aufzutreiben, bemüht sich um einen Bankkredit oder überlegt mit einem Arbeitsunfall eine entsprechende Entschädigung herauszuschinden.

Nur diese ökonomische Komponente gibt es in Payman Haghanis Debüt. In langen Einstellungen und in Schwarzweißbildern, die in ihrer Tristesse an den italienischen Neorealismus erinnern, vermittelt er eindringlich einen armseligen und trostlosen Alltag, in dem sich der ausgesprochen unsympathische Protagonist durchzuschlagen versucht. Glück blitzt hier nur in zwei abrupt einsetzenden Farbszenen auf, die in ihren leuchtenden Farben die reale ökonomische Not, die als Auslöser der Ehekrise erscheint, noch nachhaltiger bewusst macht.

Mehr solche formal konsequenten Filme hätte man sich im Spielfilmwettbewerb des Innsbrucker Festivals gewünscht. Denn da fehlte mit "Muensel" auch eine altbacken und grenzenlos einfallslos erzählte und mit einer penetranten Musiksauce unterlegte Schnulze über den Lebensweg eines blinden Jungen aus Bhutan nicht. Mehr Profil würde man sich da vom Festival wünschen.

Das gilt auch für den Dokumentarfilmwettbewerb. Inhaltlich hoch interessant ist zwar "Burma Displaced", in dem Roland Wehap facettenreich und erschütternd die Situation der unterdrückten Bevölkerung Burmas schildert, die teils ins Exil geflohen ist, teils seit Jahren in legalen und illegalen Flüchtlingslagern nahe der Grenze lebt. Doch formal kommt dieser Film, der auf ein seit der Safranrevolution vom Herbst 2007 vom Westen wieder vergessenes Land erinnert, mit seinen Talking Heads und seinem Off-Kommentar über eine Fernsehreportage nicht hinaus.

Mehr Freiraum lassen da Sandra Gysi und Ahmed Abdel Mohsen dem Zuschauer, wenn sie in "Sira – Songs of the Crescent Moon" kommentarlos den letzten lebenden Sänger, der die 5 Millionen Verse der "Sira", des größten arabischen Epos, auswendig kennt, bei seinen Konzerten durch Ägypten begleiten. Statt mit Worten wird so mit Bildern und den Gesängen ein Einblick in eine doch weitgehend fremde Kultur und Gesellschaft geboten und damit auch ein Beitrag zu Toleranz und gegenseitiger Anerkennung geleistet.