IFFI 2011: Das Alte trifft das Neue

Spannende Reibungen ergeben sich beim 20. Internationalen Film Festival Innsbruck durch die Möglichkeit des Vergleichs von Filmklassikern aus den Ländern des Südens und aktuellen Filmen aus den gleichen Regionen. Da trifft beispielsweise Tomas Gutierrez Aleas "La muerte de un burocrata" auf Daniel Diaz Torres "Lisanka", Djibril Diop Mambétys "Touki Bouki" auf Mahamat-Saleh Harouns "Un homme qui crie" oder Antonio Skarmetas "Ardiente Paciencia" auf Patricio Guzmans "Nostalgia de la luz".

Immer noch darüber staunen kann man, wie bissig Tomas Gutierrez Alea 1966 in "La muerte de un burocrata" mit dem Kuba Castros abrechnete. Ungleich milder ist da der Blick 2010 von Daniel Diaz Torrez in "Lisanka" auf die Kubakrise von 1962. Nicht von der großen Politik erzählt Torres, sondern von den Bewohnern der Kleinstadt Veredas. Im Zentrum steht die junge Lisanka, die mit ihrem rosaroten Traktor durch die idyllische Landschaft tuckert und in die sowohl der revolutionäre Sergio und als auch der reaktionäre Aurelio verliebt ist. Doch auch zu dem Liebesgedichte schreibenden russischen Soldaten Volodia, der in der Gegend mit seinen Kollegen Raketenbasen errichtet, entwickelt sich eine Beziehung. Vereinnahmen lassen will sich Lisanka aber von keinem der drei und pocht entschieden auf ihre Selbstständigkeit.

Verspielt ist das mit einigen Trickfilmszenen inszeniert und vermittelt mit Voice-over und leuchtenden Sommerfarben die Stimmung des nostalgischen Rückblicks. Treffend ist die Typenzeichnung und auch Auseinandersetzungen zwischen Revolutionären und Pfarrer, die an "Don Camillo und Peppone" erinnern fehlen nicht. Unterhalten kann man sich bei dieser mit sichtlicher Lust inszenierten Komödie bestens, alle bekommen auch mit augenzwinkerndem Humor ihr Fett ab, aber insgesamt ist "Lisanka" doch ein etwas zahnloses Leichtgewicht, eine ländliche Komödie, in der das Unabhängigkeitsstreben Lisankas freilich auch für das Bemühen Kubas um die Selbstbehauptung zwischen den Blöcken steht.

Ein schwereres Gewicht ist da schon Mahamat Saleh-Harouns "Un homme qui crie", der gerade in seiner leisen und unaufgeregten Inszenierung lange nachwirkt. Nur im Hintergrund fließen hier der seit Jahrzehnten währende Bürgerkrieg im Tschad und die Globalisierung ein, doch beides hat entscheidende Auswirkungen auf das Leben der Menschen.

Da mögen der ehemalige Schwimmchampion und sein erwachsener Sohn, die beide in einem Luxushotel als Bademeister arbeiten, zuerst noch ausgelassen im Pool tollen, bald werden die Umstände einen Keil in ihre Beziehung treiben. Nicht darüber hinweg kommt der Vater, dass er im Zuge der Rationalisierung im privatisierten Hotel zum Parkplatzwächter degradiert wird und der Sohn seinen Posten am Pool allein übernimmt. Kein Wort mehr wird er mit seinem Sohn sprechen und gedemütigt und verbittert einen Verrat begehen, den er bald bitter bereuen wird.

So einfach die Geschichte ist, so universelle und zeitlose Fragen nach Verrat und Reue wirft Haroun auf, verstärkt noch den archetypischen Charakter, indem er Vater und Sohn die biblischen Namen Adam und Abdel/Abel gibt, aber auch an Abraham und Isaak denken lässt.

Dass das afrikanische Kino zumindest vor Jahrzehnten auch noch ganz andere Wege ging, zeigt in Innsbruck "Touki Bouki" des Senegalesen Djibril Biop Mambéty. Auch 38 Jahre nach seiner Entstehung sprüht dieser Film in seiner fast dokumentarischen, teilweise an Jacques Tati erinnernden Abfolge von afrikanischen Alltagsszenen noch vor Originalität.

In die chilenische Geschichte tauchte dagegen Antonio Skarmeta 1983 mit der Verfilmung seines Romans "Ardiente paciencia" ein. Zum Welterfolg wurde diese Erzählung über die Beziehung des im Exil lebenden Pablo Neruda und seinem Briefträger allerdings erst in Michael Radfords "Il postino" betitelten Neuverfilmung.

Ganz andere Schwerpunkte als der Brite legte auch der chilenische Autor und Filmemacher, ließ seinen spröden Film nicht auf einer malerischen italienischen Insel, sondern an der grauen chilenischen Pazifikküste spielen. Im Gegensatz zu Radford bindet Skarmeta die Politisierung des Briefträgers dabei auch in die politische Geschichte Chiles von der Wahl Allendes bis zu dessen Sturz ein.

Aus Chile geflohen ist nach diesem Putsch auch der Filmemacher Patricio Guzman, der sich in seinem 2010 mit dem Preis für den besten europäischen Dokumentarfilm ausgezeichneten "Nostalgia de la luz" auf eine Spurensuche macht. Ausgehend von den Astronomen, die in den Observatorien der Atacama-Wüste den Himmel und damit auch gleichermaßen die Zukunft wie die Herkunft des Menschen ergründen wollen, fragt Guzman nach dem Näherliegenden, nach den Menschen, die während der Diktatur in der Wüste ermordet wurden und deren Überreste Angehörige suchen und nach der Verdrängung der jüngsten Geschichte. So entwickelt sich ein inhaltlich ungemein vielschichtiger und gleichzeitig auch großartig fotografierter Essayfilm, der Augen und Kopf gleichermaßen anregt, kein schnell herunter gedrehtes, sondern bis ins Detail durchdachtes Werk, bei dem wie bei den Teleskopen des Observatoriums ein Rädchen exakt ins andere greift, sich die Dinge gegenseitig ergänzen und zu einem Ganzen fügen.