Barry Le Va - Erneuerer der Skulptur in der Kunst nach 1960

Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt die erste Retrospektive nach dem Tod des US-amerikanischen Künstlers Barry Le Va (1941–2021), dessen multidisziplinäres Werk der Prozesskunst beziehungsweise dem Postminimalismus zugerechnet wird.

Wie der Titel der Ausstellung "In a State of Flux" bereits andeutet, erweiterte Barry Le Va den Skulpturbegriff, indem er die Geschlossenheit der Form aufbrach und das Prinzip der Veränderung und Instabilität in sein Werk integrierte. Die Ausstellung gibt einen Überblick über sein Schaffen von den 1960er-Jahren bis zu den letzten Werkgruppen und folgt dabei einem roten Faden: der Beziehung zwischen Zeichnung und Skulptur. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Frühwerk des Künstlers.

Barry Le Vas Installationen sind mit Bedacht und nach genauer Planung ausgeführt, lassen aber zugleich den Zufall und die Improvisation zu werkbestimmenden Elementen werden. Er untersucht Handlungen und deren Ursache und Wirkung auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen, sei es physisch, mental oder visuell. Oft benutzt er Materialien wie Filz, Glas oder Kreide für seine raumgreifenden Werke. Dabei dient dem Künstler der Boden zeitlebens als "Grund" und Experimentierfeld. Bereits 1966 entstehen in Los Angeles die ersten auf dem Boden verstreuten Distribution Pieces, mit denen er im November 1968 durch eine Titelgeschichte in der Zeitschrift Artforum schlagartig einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. Erst 1970 zieht er nach New York.

Die Zeichnung ist ein wesentlicher Bestandteil von Le Vas Œuvre. Einerseits sieht er sie als Teil seines Denkprozesses, andererseits versteht er sie "als Diagramme, die ähnlich wie Partituren oder Kompositionen funktionieren". In diesem Sinne bereiten sie oft das skulpturale Werk vor, sie können als Plan-Ansichten dienen, wobei sie gleichzeitig die Interpretation und Improvisation vor Ort zulassen. Oder sie können ganz für sich stehen.

Die Beziehung zwischen Kunstwerk und Publikum ist für Barry Le Va von Anfang an von grosser Relevanz. Wie Tatorte fordern seine Installationen die Betrachter:innen heraus, nach Hinweisen zu suchen, um die Abfolge von Handlungen, die zu ihnen geführt hat, bzw. das ihnen zugrundeliegende Konzept zu rekonstruieren. Dieser Herangehensweise liegt Le Vas Begeisterung für das Genre des Krimis zugrunde: "Ich war fasziniert von der Idee der visuellen Indizien, von der Art und Weise, wie Sherlock Holmes es schaffte, eine Handlung aus obskuren visuellen Indizien zu rekonstruieren."

Le Vas Werk ist enigmatisch und hochkomplex. Die erste umfassende Präsentation ohne die Anwesenheit des Künstlers ist eine Herausforderung und bringt viele Fragen zur Ausführung und Installation mit sich. Kuratorin Christiane Meyer-Stoll hat für die Ausstellung intensive Recherchen in verschiedenen Archiven durchgeführt: Sie fand Briefe, Notizen und Zeichnungen, die wertvolle Hinweise zur Re-installation liefern, zudem seit Jahrzehnten nicht gezeigte Werke in Museen und Privatsammlungen sowie besonders ein unentdecktes Film-Fragment des Videopioniers Gerry Schum. Christiane Meyer-Stoll erläutert: "Wir präsentieren das Werk des dreifachen documenta-Teilnehmers Barry Le Va mit vielen Entdeckungen. Zugleich zeigt die Ausstellung erstmals exemplarisch, wie man posthum mit den Arbeiten eines Künstlers umgeht, der den Prozess sowie eine eigene Form der Improvisation kultiviert hat."

Barry Le Va wurde 1941 in Long Beach, Kalifornien, geboren und studierte zunächst Architektur und Mathematik, bevor er sich der Kunst zuwandte. Seine über 50-jährige umfangreiche Ausstellungskarriere begann nach ersten frühen Ausstellungen 1969 mit einer Einzelausstellung im Walker Art Center in Minneapolis und endete mit einer Langzeit-Installation (2019–2021) im Dia: Beacon, New York, wo er Installationen aus den 1960er-Jahren reinszenierte. Er war unter anderem Teilnehmer an den documenta-Ausstellungen 5, 6 und 7 (1972, 1977 und 1982) und zählte bereits früh zu den bedeutendsten Postminimalisten und Zeichnern seiner Generation. Barry Le Va starb 2021 im Alter von 79 Jahren in New York City. "In a State of Flux" ist die erste Ausstellung ohne Beteiligung des Künstlers.

Barry Le Va
In a State of Flux
26. April bis 29. September 2024