Das Maß der Schotten: 1 Watt

4. April 2012 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Er geizt beim Spiel noch etwas mit seinen Gefühlen, was ich mir jedoch recht schnell zu erklären wußte. Denn zum einen ist er Schotte, zum anderen erst 21 Jahre jung, außerdem kam er recht spät auf den Trichter Gitarre zu spielen, nachdem er sich die Aufnahmen der Beatles angehört hatte. Und trotz all dieser Mißlichkeiten hat der junge klassische Gitarrist Ian Watt eine Chance verdient gehört zu werden, nicht zuletzt wegen der Auswahl der Kompositionen auf seiner aktuellen CD, die nun bei "Nimbus"-Alliance-Records (Vertrieb Edel) veröffentlicht wurde.

"Impressions of Spain" so der Titel der CD, selbstverständlich mit Werken von Isaac Albeniz, Joaquin Rodrigo, Manuel de Falla, Francisco Tarrega und so ganz und gar nicht selbstverständlich, deshalb umso erfreulicher, von Antonio José! Der spanische Komponist wurde am 12. Dezember 1902, natürlich noch nicht als solcher, in Burgos geboren. Als 18jähriger lernte er, während seiner Studienzeit in Madrid, den zwei Jahre jüngeren exzentrischen Maler Salvador Dali kennen. Die Sommer der Jahre 1925 und 1926 verbrachte er in Paris, unter anderem in Gesellschaft von Maurice Ravel, der von dem jungen spanischen Komponisten Antonio José absolut überzeugt gewesen ist. Er würde einst "der größte spanische Musiker unseres Jahrhunderts" werden, prophezeite Ravel. Vielleicht wäre er dies tatsächlich geworden, wäre er nur in Paris geblieben. Doch José zog es vor in seine Heimat zurück zu gehen.

Vier Jahre vor José wurde ebenfalls in Burgos, Regino Sáinz de la Maza geboren. Auch de la Maza begann im Alter von 10 Jahren, wie Ian Watt, mit dem Gitarrenspiel, hingegen nicht durch die Musik der Beatles inspiriert. Und für ihn, seinen Freund Regino, komponierte Antonio José zwei Werke für Gitarre. Zunächst "Romancillo infantil" und dann, im Jahre 1933, die "Sonata para guitarra", die Ian Watt auf der CD "Impressions of Spain" interpretiert. Diese Gitarren-Sonate zählt zweifellos zu den ersten und wichtigsten des 20. Jahrhunderts. In einem Satz: Eine technisch anspruchsvolle Herausforderung, eine emotional tiefe und sinnreiche Komposition: in vier Sätzen. Im Sommer des Jahres 1933 vollendete José diese vollendete Sonate, und sein Freund Regino Sáinz de la Maza brachte zunächst einen Satz daraus im November 1934 in ihrer Heimatstadt Burgos zur Uraufführung.

Ab dem Juli 1936 wurde zwischen der demokratisch gewählten Regierung der Zweiten Spanischen Republik und den Putschisten unter General Francisco Franco der Spanische Bürgerkrieg ausgetragen. Er endete für den jungen talentierten Komponisten Antonio nicht erst mit dem Sieg der Anhänger Francos im Jahre 1939, sondern bereits nach wenigen Monaten. Am 11. Oktober 1936, nach 2 Monaten Haft, wurde der 34jährige Antonio José Martínez Palacios von den Falangisten erschossen.

Schön, daß Ian Watt an diesen außergewöhnlichen Komponisten erinnert und sich der Herausforderung dieser Sonata para guitarra stellt! Ich werde aufmerksam bleiben und die Entwicklung dieses jungen Gitarristen verfolgen, der sich erfreulicherweise nicht für die Musik der Beatles, sondern für den aparteren Weg entschied. Mit diesem einen Watt habe ich keinesfalls schon genug, denn das Maß dieses Schotten ist noch lange nicht voll!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt