63. Berlinale: Vielversprechender Mix

Waren in den letzten Jahren große Namen bei der Berlinale eher Mangelware, so zeichnet sich das Line-up für die 63. Auflage (7. – 17.2. 2013) durch einen vielversprechenden Mix aus renommierten Regisseuren, aufstrebenden Talenten und Newcomern aus, der den Wunsch nach Unterhaltung ebenso wie den nach künstlerisch radikalem Kino erfüllen könnte.

Den Spagat zwischen aufregendem modernem Kino und spektakulärer Unterhaltung könnte schon der Eröffnungsfilm der 63. Berlinale schaffen, denn mit Spannung wird die internationale Premiere von Wong Kar Weis Martial-Arts-Film "The Grandmaster" erwartet. Außer Konkurrenz läuft dieser Film freilich, denn der Regisseur leitet heuer die Jury der Berlinale, die über die Vergabe der Bären zu entscheiden hat.

24 Filme laufen im Wettbewerb, fünf davon aber außer Konkurrenz. Vom Bärenrennen ausgeschlossen sind damit Richard Linklaters "Before Midnight", mit dem der Amerikaner die vor 18 Jahren mit "Before Sunrise" begonnene und 2004 mit "Before Sunset" fortgesetzte Trilogie abschließt. Wiederum spielen Julie Delpy und Ethan Hawke die Hauptrollen Jesse und Celine, die sich einst auf einer Zugfahrt nach Wien zufällig kennenlernten, eine Nacht gemeinsam verbrachten, dann aus den Augen verloren und sich Jahre später in Paris wieder begegneten.

Außer Konkurrenz läuft auch Bille Augusts mit Stars wie Jeremy Irons, Martina Gedeck und Charlotte Rampling besetzte Verfilmung von Pascal Merciers Bestseller "Night Train to Lisbon" und George Sluizers "Dark Blood", dessen Dreharbeiten 1993 nach dem Tod von River Phoenix abgebrochen wurden und der erst 2012 mittels eingesprochener Szenen und Standfotos fertiggestellt wurde.

Liefen vor einem Jahrzehnt noch kaum Animationsfilme bei großen Filmfestivals, so gehören sie inzwischen – zumindest außer Konkurrenz – fast fix dazu. Zur Berlinale wurde die Dreamworks Produktion "The Croods" eingeladen, in dem in der Steinzeit eine aussterbende Spezies ums Überleben kämpft.

Kommt außer Konkurrenz somit die Unterhaltung nicht zu kurz, so dürfte im Rennen um den Golden Bären schwerere Kost den Ton angeben. Mit Steven Soderbergh, der mit seinem Psycho-Thriller "Side Effects" eingeladen wurde, findet sich hier zwar ebenso ein Grenzgänger zwischen Mainstream und Experiment wie mit Gus Van Sant, der in "Promised Land" von zwei Männern erzählt, die um eine Kleinstadt kämpfen. Daneben fehlen aber auch radikale Filmemacher nicht.

Ulrich Seidl gelingt mit "Paradies: Hoffnung" das bislang wohl einmalige Kunststück hintereinander in den Wettbewerben der Festivals von Cannes ("Paradies: Liebe"), Venedig ("Paradies: Glaube") und Berlin vertreten zu sein. Im Mittelpunkt des letzten Teils der "Paradies"-Trilogie steht die 15-jährige Tochter der Protagonistin von "Paradies: Liebe". Während ihre Mutter ihr Glück beim Sexurlaub in Kenia sucht, verbringt Melanie ihre Ferien in einem Diätcamp.

Ähnlich Radikales wie von Seidl darf man auch vom Franzosen Bruno Dumont erwarten, der in "Camille Claudel 1915" von der Bildhauerin erzählt, die den Winter 1915 mit ihrer Familie in ihrer kleinen Zufluchtstätte in Südfrankreich verbringt. Zu den großen Namen zählt auch der Iraner Jafar Panahi, der 2010 in seiner Heimat zu einer sechsjährigen Haftstrafe sowie zu einem 20-jährigen Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt wurde, dennoch zusammen mit Kambozia Parovi den Film "Pardé – Closed Curtain" drehen konnte. Mit dieser Einladung setzt das Festival wie schon 2011, als Panahis Platz als Jurymitglied frei blieb, als ihm die Ausreise aus dem Iran verwehrt wurde, ein politisches Zeichen.

Wie gewohnt stark vertreten sind bei ihrem "Heimatfestival" die deutschen Filmemacher. Thomas Arslans schickt in seiner Auswanderergeschichte "Gold" Nina Hoss in der Hauptrolle ins Kanada des ausgehenden 19. Jahrhunderts, während Pia Marais in "Layla Fourie" von einer jungen südafrikanischen Frau erzählt, die einen Job als eine Art Lügendetektor erhält.

Diese Regisseure sind ebenso am Sprung zum großen internationalen Durchbruch wie der Amerikaner David Gordon Green, dem 2000 mit "George Washington" zwar ein viel beachtetes Debüt gelang, doch in der Folge nicht mehr wirklich daran anknüpfen konnte. Gespannt sein darf man folglich auf seinen "Prince Avalanche" ebenso wie die neuen Arbeiten des Kanadiers Denis Côté ("Vic + Flo ont vu un ours"), dessen bisherigen Filme mit ihrer fragmentarischen Erzählweise verstörten und teilweise begeistert aufgenommen wurden, oder Malgóska Szumowskas "In the Name of".

Mit Fredik Bonds "The Necessary Death of Charlie Countryman" und "Uroki Garmonii - Harmony Lessons" es Kasachen Emir Baigazin finden sich auch zwei Debüts in einem Wettbewerb, der sich insgesamt auch durch eine sehr große geographische Durchmischung auszeichnet.

Einen Einblick in die Welt-Kinoproduktion will aber auch das "Panorama" bieten, das 31 Spielfilme aus 23 Ländern zeigt. Mit "Don Jon´s Addiction" kann man das Regiedebüt des Schauspielers Joseph Gordon-Levitt ebenso sehen wie neue Filme von Lars Kraume ("Meine Schwestern"), Noah Baumbach ("Frances Ha") oder Jacques Doillon ("Mes séances de lutte"). Auch Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans Biopic über die Pornodarstellerin Linda Lovelace ("Lovelace") feiert in dieser Programmschiene, die mit ihen zahlreichen weniger bekannten Regisseuren aber auch zu Entdeckungen einlädt, ihre internationale Premiere.

Gesellschaftliche Umbrüche und Zeiten des Übergangs sind laut Pressemitteilung ein wiederkehrendes Thema im Programm des Internationalen Forums des jungen Films. Österreich ist hier mit zwei Filmen vertreten. Der Künstler Gustav Deutsch soll in seinem ersten Spielfilm "Shirley - Visions of Reality" mittels 13 filmisch belebten Bildern von Edward Hopper die Geschichte einer Frau erzählen, die die Wirklichkeit um sich herum nicht als Gegebenheit ansieht, sondern als gemacht und als veränderbar. Die Dokumentarfilmerin Anja Salomonowitz dagegen bietet in "727 Tage ohne Karamo" Einblick in das Leben von 20 binationalen Paaren, von denen jeweils ein Partner nicht aus Europa kommt.

Bekanntere Regisseure in dieser Sektion sind auch der Amerikaner Matt Potterfield, der "I Used to Be Darker" zeigt, und der Schweizer Peter Liechti, der in "Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern" die späte Wiederbegegnung mit seinen Eltern dokumentiert. Stark präsentiert sich laut Pressemitteilung vor allem das europäische Kino, aber auch das unabhängige US-Kino ist mit drei Filmen vertreten.

Spannende Entdeckungen machen kann man bei der Berlinale immer auch bei den Kinder- und Jugendfilmen, die in der Schiene Generation Kplus und Generation 14plus gezeigt werden. Und zu einem Blick in die Vergangenheit und auf die Querverbindungen innerhalb der Filmgeschichte lädt die Retrospektive ein, die unter dem Titel "The Weimar Touch", die Einflüsse des Kinos der Weimarer Zeit auf das Weltkino aufzeigen will.