69. Filmfestival Locarno: Osteuropäische Filme als große Sieger

Mit dem Goldenen Leoparden für den bulgarischen Film "Godless" und dem Spezialpreis der Jury für den rumänischen Beitrag "Inimi cicatrizate – Scarred Hearts" zeichnete die Jury zwei düstere Filme aus Osteuropa mit den Hauptpreisen aus. Eine besondere Erwähnung und den Preis der Fipresci, des Verbands der Filmkritiker, gab es für Rainer Frimmels und Tizza Covis "Mister Universo", während die Ökumenische Jury wie die offizielle Jury "Godless" prämierte.

Zwei düstere, beklemmend enge und folglich im 4:3 Format gedrehte Filme sind die großen Sieger des 69. Filmfestivals von Locarno. Kaum einmal öffnet sich in Ralitza Petrovas "Godless", der mit dem mit 90.000 Schweizer Franken dotierten Goldenen Leoparden sowie mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, der Blick auf den Himmel, aber noch mehr die desolaten Plattenbauten, das kalte Winterwetter und die schmutzigen und dunklen Farben erzeugen eine Atmosphäre der Tristesse und Hoffnungslosigkeit.

Hautnah folgt die Kamera der Altenpflegerin Gana, für deren Verkörperung Irena Ivanova zurecht mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, durch ihren Alltag. Um ihr Gehalt aufzubessern, klaut sie den alten Menschen, die sie pflegen soll, ihre Identitätskarten, mit denen ihr Freund kriminelle Geschäfte abwickelt.

Keine Skrupel hat dieser eine alte Frau, die die Rückgabe ihres Ausweises fordert, so massiv unter Druck zu setzen, dass sie dabei stirbt. Versucht man bei Gericht eine Klage einzubringen, wird diese abgeschmettert, denn Richter und Polizei arbeiten mit den Verbrechern zusammen.

Mit unerbittlicher Konsequenz zeichnet Petrova ein düsteres Bild einer durch und durch korrupten Gesellschaft, der jede Menschlichkeit längst abhanden gekommen ist. Auch Gana ist hier verloren, als sie doch noch Gewissensbisse entwickelt, und die verbrecherischen Machenschaften anzeigen will.

Keinen Ausweg gibt es auch für die Protagonisten in "Inimi cicatrizate – Scarred Hearts" des Rumänen Radu Jule, der mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Nicht in der Gegenwart, sondern im Rumänien der späten 1930er Jahre spielt diese Verfilmung des autobiographischen Romans von Max Blecher. Nie verlässt der ebenfalls im 4:3 Format gedrehte Film die am Schwarzen Meer gelegene Klinik, in die der an Knochentuberkulose leidende 20-jährige Protagonist eingeliefert wird.

In langen statischen Einstellung, die die Bewegungslosigkeit der ans Bett gefesselten Patienten aufs Visuelle überträgt, dokumentiert Jule in dieser rumänischen Variante des "Zauberbergs" über 140 Minuten das Leiden und Siechtum, an deren Ende auch für den Protagonisten der Tod stehen wird.

Zu diesen düsteren osteuropäischen Filmen ist auch "Ostatnia Rozina – The Last Family" zu zählen, in der der Pole Jan P. Matuszyński von den 1970er Jahren bis 2005 die Geschichte einer ziemlich schrägen, dysfunktionalen Familie erzählt. Wie Jule die Klinik verlässt Matuszyński fast nie die Wohnung der Familie.

Nichts merkt man hier von den gesellschaftlichen Umbrüchen, die sich in diesen Jahrzehnten abspielen, ganz auf dem Privaten liegt der Fokus – im Zentrum der exzentrische Vater, für dessen Darstellung Andrzej Sewerijn als bester Darsteller ausgezeichnet wurde.

Den Preis für die beste Regie verlieh die Jury doch etwas überraschend dem Portugiesen Joao Pedro Rodgrigues für seinen an surrealen Szenen reichen Trip "O ornitologo", während sich Rainer Frimmel und Tizza Covi für "Mister Universo" sich neben besonderen Erwähnungen durch die offizielle Jury und die Ökumenische Jury vor allem über die Auszeichnung durch die FIPRESCI, den Verband der Filmkritiker, freuen dürfen.

Einen verdienten Sieger gab es auch beim Publikumspreis der Piazza Grande mit Ken Loachs "I, Daniel Blake", der heuer in dieser Programmschiene in einer eigenen Liga spielte, während mit dem Variety Piazza Grande Award, der die Karriere eines Films fördern soll, Frédéric Mermouds kleiner, aber sorgfältig aufgebauter und von Emmanuelle Devos und Nathalie Baye großartig gespielter "Moka" ausgezeichnet wurde.


PreisträgerInnen und Preise des 69. Filmfestival Locarno