M9 – Museo del'900 in Venedig-Mestre

In Venedig war kein Zimmer mehr frei, also übernachtete ich in Mestre. Ist mir vor einigen Jahren schon aufgefallen, dass man sich hier sehr erfolgreich um Stadterneuerung bemüht und das Zentrum mit viel Aufenthaltsqualität angereichert hat. Ich suchte es nicht, doch plötzlich stand ich vor dem M9 – Museum der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Italien, das schon in den Architekturzeitschriften beeindruckend fotogen rüberkam.

Faszinierend, wie sich das Ensemble mit der so ungewohnt farbigen (eben nicht bunten), strichcodeartigen Keramikfassade in die Stadt fügt und ein attraktives Museumsquartier entstehen lässt. Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch, die Architekten, öffnen mit den zwei Hauptgebäuden (Museum und Verwaltung) über die diagonale Ost-West-Achse den bisher unzugänglichen Block zur zentralen Piazza und verbinden den Innenhof des Convento delle Grazie, einem saniert wie umgenutzten Kloster aus dem 16. Jahrhundert, mit den kleinteiligeren Bestandsgebäuden zur Flanierzone. Die durchlaufenden Platten aus lokalem, grau-beige-rötlichem Stein bilden die Einheit am Boden ab.

Gekonnt werden die auffallenden Volumen geformt: abgekantete Ausschnitte im Erdgeschoß, die den Funktionen folgen und zugleich Spannung in den Raum dazwischen bringen; die dramatisch inszenierte Treppe mit in schrägen Linien ansteigenden Keramikfliesen sowie Fensterband; was nicht ausgeschnitten ist, wird in Betonskulpturen aufgesetzt (die zackigen Oberlichten am Dach) oder angefügt; scharf geschnitten und platzbildend auch die Nebengebäude.

Das eigentliche Museum über Leben und Schaffen im 20. Jahrhundert in Italien (was wir waren, was wir sind: Demografie, soziales Leben, Lifestyle, Innovation und Technik, Infrastruktur, Politik und Staat, Infrastruktur, Bildung etc.) ist im ersten und zweiten Obergeschoß als Blackbox untergebracht: ein Labyrinth mit narrativen Pfaden aus digitalen Themeninseln. Schön der Kontrast im Haptischen, wenn man die Ebenen wechselt: der Anstieg über die in Sichtbeton gehaltenen Treppenanlage (auch außen so gut ablesbar) mit Akustikdecke aus Holz. Die oberste Etage ist lichtdurchlutet, ganz in weiß gehalten und für Wechselausstellungen. Von dort gelangt man über eine Lounge nach draußen. Der Blick von oben auf das neue Museumsquartier und die Innenstadt beweist, dass nun auch Venedig-Mestre einen Besuch wert ist.