Zeitgenössisch und fesselnd: Animal Farm an der Wiener Staatsoper

Die Oper Animal Farm war ein Auftragswerk der Dutch National Opera und der Wiener Staatsoper an den russischen, im Exil lebenden Komponisten Alexander Raskatov. George Orwells wirkmächtigen, poetisch-politischen Roman zu bearbeiten, regte der Regisseur Damiano Michieletto an, und der musikalische Leiter Alexander Soddy nützte das Privileg, den Komponisten bei der Entwicklung der Interpretation einbeziehen zu können, exzellent. Dass Raskatov noch dazu die Stimmen kannte, für die er schrieb, vollendet diese Aufführung zum packenden Meisterwerk.

Zeitlos und allgemeingültig ist die Handlung. Orwell machte zwar konkrete Anspielungen auf die Sowjetunion, erzählt jedoch von Mechanismen, die gesellschaftlichen Prozessen zugrunde liegen: Auf einem verwahrlosten Bauernhof – hier im Schlachthaus – revoltieren die Tiere gegen ihren tyrannischen Besitzer, müssen sich jedoch binnen kurzem unter dem ungerechten Joch des neuen Führers aus eigenen Reihen beugen. Die hehren Ziele der Revolution werden verraten, denn Macht hat stets das Bedürfnis, eigene Regeln zu ihrer Rechtfertigung zu finden.

Napoleon (Stalin) und Snowball (Trotzki) sind die Anführerschweine, rasch ist die Proklamation der sieben Gebote des Animalismus, die die Gleichheit aller Tiere garantieren, verfasst. Doch bald tritt Uneinigkeit auf: Snowball will eine Windmühle bauen, die die Arbeit der Tiere erleichtern und den Lebensstandard heben könnte. Napoleon legt fest, dass die militärische Aufrüstung Gebot der Stunde sei. Das kostet Snowball das Leben, er wird als Saboteur denunziert, und auch seine vermeintlichen Komplizen werden in Schauprozessen vorgeführt und blutig niedergemetzelt. 

Für seine Vertonung entwickelte der Komponist einen „Skalpell-Stil“, der das Geschehen scharf und kontrastreich zeichnet. Raskatov überarbeitete auch das Libretto, verdichtete es, bezieht Originalzitate Stalins sowie Trotzkis ein und richtet damit dokumentarische Schlaglichter auf die Pathologie des Sowjet-Systems. "Im Grunde habe ich Animal Farm für zwei Orchester geschrieben. Das eine agiert im Orchestergraben, das zweite – die Sängerinnen – agiert auf der Bühne." 

Die Partitur sieht einundzwanzig Solorollen vor, die das volle Spektrum menschlicher Stimmlagen ausschöpfen. Für den Dirigenten Alexander Soddy greift alles ineinander: "Jeder Ton, der gesungen wird, hat eine wichtige Funktion in der gerade aktuellen harmonischen Struktur, und umgekehrt bildet das Orchester stets eine Komponente des sängerischen Gestaltens“. Jeder Charakter hat seine eigene Individualität: Benjamin, der Esel, mit seinen I-ah-Tonsprüngen, der Rabe Blacky und vor allem die hübsche Stute Mollie, die "sängerisch abenteuerlich stratosphärische Höhen erklimmen" müssen. Das Schwein Napoleon bekommt jedoch schon "normal" klingende Arien, und ist auch das erste Tier, das seine Maske fallen lässt. Der Chor spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle und versinnbildlicht die manipulierbare, passive Masse, die sich unreflektiert führen lässt und das autokratische System überhaupt erst ermöglicht.

Ebenso beeindruckend ist der Orchesterklang. Selbst der Dirigent hat bei der Schlagwerkabteilung nicht alle Instrumente zuvor gekannt. Das Waterphone zum Beispiel, ein mit Wasser gefülltes Möbelstück, das mit Kontrabass-Bogen gestrichen wird, oder die Cuica, eine brasilianische Reibetrommel. Neben den üblichen Streich- und Blasinstrumenten, die ungehörte Töne von sich zu geben vermögen, hört man Klavier, Celesta, E-Gitarre, Bassgitarre und eine Petite trompette. Die großen Plattengongs mussten aber im Orgelsaal im sechsten Stock untergebracht werden, der Sound wird direkt übertragen.

Am Ende ist gar nichts gut. Der Diktator hat die sieben Gebote sukzessive modifiziert: die Tötung eines Tieres durch ein anderes ist jetzt nur mehr untersagt, wenn dies "ohne Grund" geschieht; sogar Boxer, das schwer arbeitende und immer loyale Pferd, wird erbarmungslos dem Abdecker übergeben und seine angeblichen letzten Worte vom Propagandaminister Squealer mit "Lang lebe Napoleon! Napoleon hat immer Recht!" kommuniziert. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Tier und Mensch. "All animals are equal, but some of them are more equal than others!"

Eine atemberaubende Inszenierung und musikalische Hochleistungen. Es lebe die zeitgenössische Oper! Tosender Applaus.

 

Animal Farm von Alexander Raskatov
nach George Orwell 

Musikalische Leitung: Alexander Soddy 
Inszenierung: Damiano Michieletto 
Bühne: Paolo Fantin 
Kostüme: Klaus Bruns 
Licht: Alessandro Carletti

Old Major - Gennady Bezzubenkov 
Napoleon - Wolfgang Bankl 
Snowball - Michael Gniffke 
Squealer - Andrei Popov
Boxer - Stefan Astakhov
Benjamin/Young Actress - Karl Laquit
Minimus - Artem Krutko
Clover - Margaret Plummer
Muriel - Isabel Signoret
Blacky - Elena Vassilieva
Mollie - Holly Flack
Mr. Jones - Daniel Jenz
Mrs. Jones - Aurora Marthens
Mr. Pilkington - Clemens Unterreiner