X Projekte der Arbeitsgruppe 4

Im Mittelpunkt der Ausstellung "X Projekte der Arbeitsgruppe 4" steht das erstmals gezeigte Œuvre der Arbeitsgruppe 4 mit seinen wichtigsten Projekten und Werken. Die Gruppe, bestehend aus den prägnanten Persönlichkeiten Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Johannes Spalt, hat über die Architekturgrenzen hinweg Berühmtheit erlangt. Otto Leitner, eines der Gründungsmitglieder, war bereits 1953 aus der Arbeitsgruppe 4 ausgeschieden, was zu dem Paradoxon führte, dass die Arbeitsgruppe 4 über die längste Zeit ihres Bestehens nur aus drei bzw. – nach dem Weggang Wilhelm Holzbauers 1964 – überhaupt nur noch aus zwei Personen bestand.

Eine mit der Gruppe eng befreundete Architektin prägte den Namen "Dreiviertler" ("3/4ler"), der in der Wiener Szene legendär wurde und somit nachhaltig das Image der Arbeitsgruppe 4 beeinflusste. Im Laufe der Jahre scheint die Arbeitsgruppe 4 somit zu einem Mythos der jüngeren österreichischen Architekturgeschichte geworden zu sein. Architekturinsider kennen die wichtigsten Arbeiten, aber genaue Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge lagen bis zur Aufarbeitung der umfangreichen Archive durch das Az W weitgehend im Dunkeln. Die großzügigen Übergaben der Archive von Friedrich Kurrent und Johannes Spalt an das Az W bildeten die Basis dieser umfassenden Recherchen. Das Architekturzentrum Wien stellt sich nun der Herausforderung und zeigt im Frühjahr 2010 das spannende und nach wie vor aktuelle Werk der "Dreiviertler".

Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Otto Leitner kannten einander bereits von der Salzburger Gewerbeschule, an der Johannes Spalt ebenfalls einige Jahre zuvor maturiert hatte. Im Jahr 1950 schlossen sich die an der Wiener Akademie der bildenden Künste in der Meisterklasse von Clemens Holzmeister studierenden vier jungen Architekten erstmals zusammen und wählten für ihre Formation die äußerst pragmatische Bezeichnung Arbeitsgruppe 4. Nach dem Studienabschluss bezogen sie 1952 ein Atelier in der Wiener Josefstadt, Fuhrmannsgasse 4, das in den folgenden Jahren nicht nur Treffpunkt und Schnittstelle für eine junge Generation von Architekten, sondern auch ein bedeutender Ort für die Wiener Kulturszene sein sollte. Lesungen der sich zu dieser Zeit gerade formierenden "Wiener Gruppe" fanden dort ebenso statt wie legendäre Atelierfeste, die den teilnehmenden Personen – allesamt bedeutende Vertreter der Wiener Avantgarden – auch sechzig Jahre später noch lebhaft in Erinnerung sind.

Die erste Phase nach Ateliergründung war gekennzeichnet von zahlreichen Wettbewerbsteilnahmen. Vor allem der Schulbau beschäftigte die Arbeitsgruppe 4 nachhaltig – die Konzepte für die so genannte Wohnraumschule (1953) fanden große Beachtung, jedoch kam es trotz eines umfangreichen Schulbauprogramms in den fünfziger Jahren nie zu einem Bauauftrag an die Arbeitsgruppe 4. Aber nicht nur für den Bereich Schulbau, sondern vor allem für die Domäne Kirchen- und Wohnbau entwickelten die "Dreiviertler" wegweisende Konzepte, die für die folgenden Jahrzehnte wichtige Impulse setzten. Zu den bis heute bekanntesten Bauten der Arbeitsgruppe 4 zählen neben ihrem Erstlingswerk, der Kirche "Zum kostbaren Blut" in Salzburg-Parsch (1953–1956), das Seelsorgezentrum Steyr-Ennsleiten (gemeinsam mit Johann Georg Gsteu, 1959–1961/1968–1970) sowie das Kolleg St. Josef in Salzburg-Aigen (1961–1964).

Darüber hinaus war die Beschäftigung mit der österreichischen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts immer ein besonderes Anliegen der "Dreiviertler" (vor allem durch Kurrent und Spalt fortgeführt), das sich nicht nur in den eigenen Arbeiten niederschlug, sondern zahlreiche von ihnen konzipierte Ausstellungen (z.B.: "Kirchen unserer Zeit" 1956, "Internationale Theaterbau-Ausstellung" 1961, "Architektur in Wien um 1900" 1964, "Adolf Loos" 1964 und andere) und Publikationen zur Folge hatte. Aus dem scheinbaren Gegensatz ihrer bewussten Beschäftigung mit der Vergangenheit einerseits und ihrer avantgardistischen Pionierleistungen mit konstruktiv-technischen Neuerungen andererseits resultiert die "unterschwellige" Wirkung der Arbeitsgruppe 4 bis heute und macht sie zu einem wesentlichen Phänomen der Architektur und Baukultur ihrer Zeit.

Der Titel der Ausstellung lässt durchaus einige Interpretationen offen – was aber bedeutet das X? Das X als konstruktives Element findet immer wieder in der Arbeit der Arbeitsgruppe 4 seinen Niederschlag – am auffälligsten in der Architektursprache des Seelsorgezentrums Steyr-Ennsleiten. Es steht aber auch für die Fülle der in der Ausstellung gezeigten Projekte – 40 von insgesamt 119 Arbeiten der Arbeitsgruppe 4. Um den Namen der "Dreiviertler" zu würdigen, werden in der Ausstellung die Projekte auf einem Tisch, der ¾ so lang ist wie die Ausstellungshalle, dargeboten. Das chronologisch geordnete Œuvre erstreckt sich auf 25 x 4 Metern, in leicht abgesenkten Vitrinen, die eigens im Maßkanon der Arbeitsgruppe 4 angefertigt wurden. Pläne, Fotos, Plakate, Modelle als Originalmaterial, aber auch in Form von Reproduktionen präsentieren sich den BesucherInnen. Vertiefende Stationen laden den/die Besucher/in zum Verweilen und Lesen ein, drei Interview-Filme mit den Protagonisten geben lebendige Einblicke in die Welt der "Dreiviertler".

Zur Ausstellung erscheint im Müry Salzmann Verlag ein umfassender Katalog mit 256 Seiten, rund 500 Abbildungen und Werkverzeichnis. Mit Textbeiträgen von Friedrich Achleitner, Gabriele Kaiser, Siegfried Mattl, Sonja Pisarik, Ute Waditschatka und Karin Wilhelm.

X Projekte der Arbeitsgruppe 4
Holzbauer, Kurrent, Spalt (1950 – 1970)
4. März bis 31. Mai 2010