Wortbilder. Comics aus China

In Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum in Peking (NAMOC) und im Rahmen des Festivals "Culturescapes China 2010" zeigt das Cartoonmuseum Basel erstmals in der Schweiz in grösserem Umfang aktuelle chinesische Comic-Kunst und ihre wichtigsten historischen Vorbilder. "Wortbilder" macht Station bei den bedeutendsten Künstlern und Künstlerkollektiven und zeichnet den Weg des chinesischen Comics von einem Medium für die Massen zum Begleiter der neu entstehenden Jugendkulturen nach. Meisterhafte Tuschezeichnungen, Schabkartonarbeiten, Aquarelle, Acrylbilder und Holzschnitte treffen auf am Computer gezeichnete oder animierte aktuelle Comic-Kunst.

Die Ausstellung "Wortbilder. Comics aus China" im Cartoonmuseum Basel zeigt Werke der chinesischen Comickunst der letzten 60 Jahre aus der Sammlung des NAMOC. Die meisten, der im Cartoonmuseum Basel gezeigten Arbeiten, waren bisher nicht im Original in Europa zu sehen. Die Ausstellung ist aufgeteilt in drei Hauptbereiche und zeigt einen Querschnitt durch die Entwicklung der chinesischen Comic-Kunst. Der erste Teil der Ausstellung präsentiert Bildgeschichten, die in literarischen Klassikern Chinas wurzeln, der zweite Teil beleuchtet Comics, die der Revolution und Formung der Gesellschaft dienen und der dritte widmet sich den modernen und aktuellsten Formen chinesischer Comickunst.

Romane der Ming-Zeit (1368–1644), die Buchverleger mit Holzschnitten bebildern liessen, um sie attraktiver zu machen, sind einer der vielen Ursprünge des chinesischen Comic. Den Sprung von vereinzelten Buchillustrationen zur durchgehend bebilderten Geschichte schafften die stilistisch einheitlichen, mit "Kettenbilder" übersetzbaren lianhuanhua Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die günstigen, schwarzweissen Querhefte, die eine beeindruckende grafische Qualität erreichten, wurden millionenfach gedruckt und bis in die hintersten Winkel der Volksrepublik China verteilt und gelesen. Ab den 1950er Jahren wurden sie zu einem integrativen Bestandteil der Politikvermittlung und innergesellschaftlichen Diskussion.

Klassische Werke der chinesischen Literatur wie "Der Traum der roten Kammer", "Westzimmer", "Drei Reiche" sowie aus der Moderne "Die wahre Geschichte des Ah Q" sind bis heute gültige Vorlagen für Comiczeichner. Ihre besten Übertragungen in den Comic bilden den ersten Teil der Ausstellung. Überwog bis in den 1950er Jahren noch das Bestreben, ein authentisches Bild des kaiserlichen Chinas zu gestalten, sind die Klassiker heute lediglich eine Folie, um ganz frei erfundene oder aber nur lose an Romanvorlagen angelehnte Geschichten zu erzählen. Die ausgestellten Werke zeigen einerseits die handwerkliche Perfektion und die Akribie, mit der das Leben der Oberschicht im Kaiserreich nachgezeichnet wird und andererseits, wie sich dieses Können in Werken spiegelt, die eher als modernes Manga zu werten sind. Der Vergleich zwischen unterschiedlichen Bearbeitungen aus unterschiedlichen Epochen macht deutlich, wie sich ästhetische und politische Präferenzen verschieben.

Der zweite Teil der Ausstellung richtet den Blick auf die Gesellschaft selbst und die Fortführung der Revolution. Standen lianhuanhua in den frühen 1950er Jahren noch ganz unter dem Eindruck einzelner, oft brutaler Kampfgeschichten und Heldentaten, waren spätere Geschichten bis in die 1970er Jahre von einer Art Revolutionsromantik geprägt. Ab Mitte der 1980er Jahre sind es erneut das individuelle Schicksal und differenzierte Ereignis, dem sich die Mehrheit der lianhuanhua, oft in symbolischen und verklausulierten Kompositionen widmet. Die Künstlergruppen der Volksrepublik waren fest in das Redaktionssystem der staatlichen Verlage eingebunden und waren so eher Staatsangestellte als kritische Geister ausserhalb einer staatlichen Domäne. Dies führte dazu, dass die chinesische Gesellschaft selbst heute noch eine hohe Meinung von den Comics hat – lianhuanhua sind selbstverständlich ein Teil der chinesischen Kultur geworden und wurden in allen Altersklassen jeder Bildungsschicht gelesen.

Seit den 1990er Jahren werden die lianhuanhua von neuen Comicformen den manhua, deren Themen- und Stilmix inzwischen den sozialistischen Einheitslook abgelöst hat, verdrängt. Aus Japan stammende Manga und europäische Comicalben beeinflussen vornehmlich junge Künstler, die nun einen Bruch mit der chinesischen Comictradition wagen. Es fällt hier schwerer, den typisch chinesischen Anteil in den Werken zu sehen, doch sie sind daran, sich von ihren westlichen Vorbildern zu emanzipieren und inspirieren das chinesische sowie das westliche Publikum. Comicelemente ziehen sich in China durch Werbung und Mode, sie tauchen in Animationsfilmen und in Videospielen auf. Sie sind heute eher Bestandteil einer Jugendkultur mehr als breit in der chinesischen Gesellschaft verwurzelte Kunstform. Sie sind der farbige Ausdruck einer im Wandel begriffenen, ökonomisch und kulturell immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft der Gegensätze.

Ein besonderes Augenmerk richtet das Cartoonmuseum Basel schliesslich auf die zunehmende Verwendung von Computern, die neue Gestaltungsmöglichkeiten und Verbreitungskanäle für Comics eröffnen. Mit einem breit gefächerten Vermittlungsprogramm wird die teilweise exotische Welt der chinesischen Comics erklärt, kommentiert und so einem breiten Publikum zugänglich und verständlich gemacht. Die speziell aus China angereisten Künstler Benjamin (Zeichner, u.a. des Bilds auf dem Flyer) und Ji Di, (Zeichnerin) zeigen in Workshops, wie heute mit dem Grafik- Tablett und Photoshop direkt und rasend schnell am Bildschirm gearbeitet wird.

Wortbilder. Comics aus China
6. November 10 bis 13. März 11