Wo die wilden Kerle wohnen

Surreale Fantasien, Träume und Ängste sind so alt wie die Menschheit. Manchmal religiös motiviert, manchmal Kinderfantasien, manchmal volkstümliche Überlieferung und manches Mal auch touristisch motiviert. So wie im Falle von Dracula, der vermeintlich in der Heimat der beiden Brüder Gert & Uwe Tobias (geboren 1973 in Siebenbürgen, Rumänien, leben in Köln) umgeht und doch nur Projektion und touristisches Marketinginstrument ist. Denn bevor die Touristen kamen, um Dracula zu sehen, war er in Transsylvanien de facto nicht bekannt.

Dennoch aber wurzelt Dracula natürlich tief und ist mitnichten eine zeitgenössische Erfindung. Als Doppelfigur – der vornehme Graf und der Todbringende – speist er sich an seinen Opfern und nimmt sie mit sich hinüber in sein eigentliches Reich. Ein Analogon zur Fantasie, wenn sie nicht vom Alltag und der Vernunft in ihre Schranken gewiesen wird.

Gert &Uwe Tobias arbeiten seit Ende ihres Studiums gemeinsam an Zeichnungen, Keramiken und Holzschnitten, die sie zu Gesamtinstallationen zusammenfügen, die oftmals über farbige Wände und räumliche Eingriffe zusammengehalten werden. Aber nicht nur äußerlich sind sie verbunden, sondern auch auf der Ebene der Motivik. In jedem ihrer Medien spüren sie den Ausgeburten surrealer Vorstellungen und Fantasien nach. Zumeist sind es Figuren, die zwar dem Menschlichen nahe stehen, sich aber andererseits weit von ihm entfernen.

Teils wachsen diese Protagonisten aus vasen- oder gefäßartigen Einzelteilen prekär in die Höhe, manch einer braucht gar einen Stock, um sich auf den Beinen zu halten, teils sind Magazinteile in die Zeichnungen hineincollagiert, die Teile des Körpers ersetzen. Hierdurch entsteht eine Form der Abstraktheit, wie sie der Fantasie eigen ist, verkürzt an mancher Stelle und weitet sich an anderer ins Unermessliche aus. So die auf diesen Konstrukten aufsitzenden Köpfe, die Hörner tragen oder sich durch lange, triefende Nasen auszeichnen.

Folkloristische Motive entspringen aus kollektiven gesellschaftlichen Strukturen, ihren Erinnerungen und Überlieferungen. So greifen Gert & Uwe Tobias auch manches Mal auf ein Strickmusterbuch ihrer Mutter zurück. Eine domestizierte Motivik, die die beiden in ihre Holzschnitte und ihre Schreibmaschinenzeichnungen übertragen. Beides sind vermittelte Arbeitsweisen, die aufwändig und durch Überlappung funktionieren. Ihre Holzschnitte entstehen im Puzzledruck, einem Verfahren, das aus einer Anzahl von Druckstöcken das eigentliche Bild zusammensetzt.

Von jedem Holzschnitt entstehen, der Idee der Massenreproduktion entgegengesetzt, gerade einmal zwei Drucke. Jeder Ausstellung stellen Gert & Uwe Tobias ein Plakat voran, das dem Betrachter im Raum, wie ein Hinweisschild aufgestellt, begegnet. Wie der Umschlag eines Buches eröffnet es dem Betrachter den surrealen Raum, in dem sich die Narration der Einzelelemente entfaltet.

Auch weitere Aspekte in ihren Ausstellungen haben pragmatische Anknüpfungspunkte: Ihre kleinformatigen Keramiken präsentieren sie weitgehend auf Sockeln, denen in Form von Alltagsgegenständen ein weiterer Sockel beigegeben wird. Manche wachsen wie Flaschengeister aus Vasen hervor, andere stehen auf Tellern oder Butterdosen und Kaffeekannen. Das Haushaltsporzellan ist dabei den Keramiken nicht fremd, sondern entspricht ihm durch die Ähnlichkeit der Materialität und der Verarbeitung. Das alltägliche Leben mit seinen alltäglichen Gegenständen als Lebensgrundlage. Was, wenn alles was uns umgibt lebt? Nicht nur in Kinderfantasien, können Teekannen auf einmal sprechen und zu surrealen Projektionsflächen werden.

So sind die Keramiken nur wenig geformt. Aus mantelartigen Umhängen, Kopfbedeckungen und Kapuzen wachsen zerfurchte Gesichter hervor, die fremd und gleichzeitig allzu bekannt sind, und reichlich Freiraum für eigene Assoziationen lassen.

Auch den ebenfalls kleinformatigen Zeichnungen mit ihren verwischten Konturen ist eine traumhafte Qualität zu Eigen. Die Skizzen und Zeichnungen wirken wie Vorarbeiten für die Holzschnitte und sind Etappen auf dem Weg zu immer größerer Abstraktion, bis das Motiv in seiner grafischen Form umsetzbar wird. So ist es kein Zufall, dass auch das Schriftzeichen als grafische Abstraktion par excellence in ihren Arbeiten immer wieder auftaucht. Das zunächst Ungeformte und latent Vorhandene erfährt in Form des Musters eine immer stärkere Konventionalisierung. Aber eben auch eine Abstrahierung, die wiederum dem Träumerischen sein Zuhause gibt.

Für den Kunstverein in Hamburg entwickeln Gert & Uwe Tobias eine Installation, die den Kunstverein in seiner räumlichen Gesamtheit zu einem fantastischen Kopfraum werden lässt: Vom Foyer, über das Treppenhaus in beide Ausstellungsräume hinein, auf einer Gesamtfläche von 1.300 qm, erstrecken sich ihre Arbeiten. Damit ist diese Ausstellung die bisher größte Aufgabe für die beiden Künstler und ihre bis dato größte Ausstellung. Danach wird nach und nach ein Teil ihrer Installation verschwinden und Platz machen für die Präsentationen weiterer KünstlerInnen, bis am Ende des Jahres nur noch das Foyer und das Treppenhaus erhalten sind.

Gert & Uwe Tobias
28. Januar bis 11. November 2012