Wien Museum Neu

Schon zu Oswald Haerdtls Zeiten wurde über den Standort des Wien Museums heftig diskutiert, und bei der notwendigen Erweiterung noch aufgeregter. Es gab dann doch den Beschluss für einen Zubau am Karlsplatz und 2015 wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Prämisse: der unter Denkmalschutz stehende Haerdtl Bau darf nicht aufgestockt werden. 274 Büros aus 26 Ländern nahmen daran teil, gewonnen haben das Klagenfurter Büro Winkler Ruck mit Ferdinand Certov aus Graz. Wäre die zweite Wettbewerbsstufe nicht ebenfalls anonym gewesen (was eigentlich unüblich ist), wer weiß, ob klingende Namen wie Zaha Hadid Architects, Foster Partners oder Sou Fujimoto nicht verführerisch gewesen wären. Aber so entschied man sich für den einzigartigen Entwurf der heimischen Architekten, bei dem weder zugebaut, noch etwas daneben gestellt und trotzdem der Haerdtl Bau nicht berührt, jedoch aufstockt wurde. Wie brachten also Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov dieses Kunststück zustande?

Das Wien Museum war mit der Zeit und städtebaulichen wie verkehrstechnischen Veränderungen sowie durch die Annexion des architektonisch qualitätsarmen Versicherungsgebäudes an den Rand des in den 1970er Jahren entstandenen Ressel-Parks gedrängt worden, verlor Position und Präsenz, diagnostizierten die Architekten, und stellen die Haerdtl Architektur wieder frei, untersuchten, scannten sie von oben bis unten, analysierten nach den Vorgaben des Denkmalschutzes und führten sie nach heutigen Baunormen nahe an den Originalzustand zurück. Städtebauliches Gewicht erlangt das Bauwerk nun wieder mit Höhe und der Erweiterung, die aus dem Altbestand unsichtbar herauswächst, diesen nirgends berührt und einen abstrakten Kubus mit schraffierter Betonfassade über einem verglasten Fugengeschoß förmlich schweben lässt.

Wie das statisch funktioniert? Ein bis zu vier Meter dicker Stahlbetonfuß ist mit einem Kamm aus vierzig Piloten (40m) tief im Erdreich des ehemaligen Innenhofs verankert, darauf wachsen die Betonscheiben und -stützen aus dem Altbestand heraus in lichte Höhen, mit erdbebensicherer Abstandsfuge. Von oben abgespannt, an vier massiven Stahlbändern, wird eine auskragende Halterung für den Fassadenkranz des Ausstellungsgeschoßes. Damit gelingt es tatsächlich das oberste Stockwerk ohne irgendeine Stütze auf Haerdtls Dach über einer transparenten Zwischenlage schweben zu lassen. Zweifellos mega-aufwändig, und die logistische Abenteuergeschichte zu den aus Kärnten auf Umwegen angelieferten Stahlträgern und deren nächtlicher Montage, ist eine überaus spannende!

Die Grundstruktur des Haerdtl Baus ist aus Stahlbeton und genauso wird weiter gemacht, brettergeschalt, jedoch mit Weißzement das Grau entzogen und sichtbar gelassen, sehr schön ausdetailliert und gearbeitet. Die im Atrium eingesteckten Wandscheiben mit den linearen, die Geschoße des Altbaus überwindenden Stiegenläufen und der herunterhängenden Treppenskulptur, die in die zwei neugebauten Stockwerke führt, bilden die eindrucksvolle (20m hohe) Halle und damit einen Erlebnisraum, der beim Rundgang durch die Dauerausstellung immer wieder tangiert wird. Die ikonischen Großobjekte der Sammlung wie die Originalfiguren des Donnerbrunnens, der Praterwalfisch oder das Stephansdom-Modell sind dort inszeniert und die unzähligen weiteren Schätze chronologisch und fein kuratiert in den historischen Räumen. Bemerkenswert, dass dieser Teil des Wien Museums bis zur Dachterrasse der "Kommunikationsfuge zwischen Alt und Neu" ohne Eintrittskarte zugänglich bleibt. Ein Geschenk an alle und wahre Kulturvermittlung!

Abbruchsreif und bezüglich Sanierungsanliegen absurd wirkte die Ruine, als der Bau von Oswald Haerdtl zwischenzeitlich bis auf seine "Knochen" aus Stahlbeton und dünnem Mauerwerk "ausgezogen" war. Doch wir Passanten wussten nichts über die gewissenhafte Forschungsarbeit zur "Originalhaut", die das genaue, hochentwickelte Fassadenbild, das Haerdtl konstruiert hat, wiederherstellen ließ. Der weiße Dolit aus Kroatien ist dem ursprünglichen Untersberger Kalkstein am ähnlichsten, jedoch witterungsresistent, für die Fensterfüllung wird grauer Jura-Kalkstein verwendet, unter den Fensterparapeten Wachauer Marmor.

Schlussendlich wurde doch noch etwas vor den Haerdtl gestellt, nämlich ein gläserner Eingangspavillon. Zwar wieder mit Abstandsfuge zum Originalvorbau mit aufpoliertem Haerdtl-Portal, dieser verändert jedoch die Zugangsrichtung, was durchaus argumentierbar ist: In einladender Geste entsteht ein neuer urbaner Platz zwischen Museum und Karlskirche, aber auch ein kraftvoller Markstein zur Manifestierung der Nordost-Ecke im Ressel-Park.

 

Wien Museum
Bauherr: Wien Museum, Direktion Matti Bunzl, Christina Schwarz
Architekten: ARGE Certov, Graz; Winkler+Ruck Architekten, Klagenfurt
Baubeginn: Spatenstich 10. Juli 2020
Eröffnung: 6. Dezember 2023
Baukosten: 108 Mio. Euro wurden eingehalten
Nettonutzfläche 12.000 m2 (statt bisher ca. 6.900 m2)
Höhe Bestandsgebäude Haerdtl-Bau: 16 Meter
Höhe Wien Museum Neu: 25 Meter