Wettläufe gegen die Zeit - Das Genrekino des Don Siegel

30. August 2010 Walter Gasperi
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"Invasion of the Body Snatchers", "Madigan", "The Shootist" – Thriller, Polizeifilme, Western waren die Spezialität von Don Siegel und gemeinsam ist ihnen vielfach, dass die Protagonisten einen aussichtslosen Wettlauf gegen die Zeit führen: In "Invasion" gegen die sich ausbreitenden Außerirdischen, in "The Shootist" gegen den nahenden Krebstod, in "Madigan" gegen die vom Polizeichef vorgegebene Deadline. – Das Filmfestival von San Sebastian (17.9. - 25.10. 2010) widmet diesem Meister des schnörkellosen Genrekinos eine seiner beiden heurigen Retrospektiven.

1912 in Chicago geboren, kam Siegel mit seinen Eltern früh nach Europa, verbrachte seine Schulzeit in England und arbeitete dann als Maler und Schlagzeuger in London und Paris. In den 30er Jahren kam er nach Hollywood und bekam über Beziehungen einen Job in der Film Library von Warner Bros..

Bald stieg er zum Leiter der Montage-Abteilung des Studios auf. Mit Inserts, Postkarten und ähnlicher Found-Footage musste er nun für Filme wie Michael Curtiz´"Yankee Doodle Dandy", "Casablanca" oder "Mission to Moscow" Verbindungsstücke montieren, die nicht in den Studiokulissen gedreht werden konnten.

So entwickelte er sich zu einem Meister des Schnitts, der schnörkellos und knapp in wenigen Bildern Geschichten erzählte – Merkmale, die auch seine späteren Regiearbeiten auszeichnen. Nach den zwei Kurzfilmen "Star in the Night" und "Hitler Lives?", für die er einmal in der Kategorie "Kurzer Spielfilm" und einmal in der Kategorie "Kurzer Dokumentarfilm" mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, drehte er 1946 mit "The Verdict" ("Hier irrte Scotland Yard") sein Spielfilmdebüt. Nach diesem stimmungsvollen im London des späten 19. Jahrhundert spielenden Krimi wendete er sich mit dem actiongeladenen "The Big Steal" ("Die rote Schlinge", 1949), in dem sich drei Schurken gegenseitig verfolgen, der Gegenwart zu.

Zu einem von Siegels stärksten und einflussreichsten Filmen wurde "Invasion of the Body Snatchers" ("Die Dämonischen", 1956). Obwohl Siegel auf Druck des Studios diesen Horror-Science-Fiction-Thriller durch eine Rahmenhandlung entschärfen und den Titel "Du bist der Nächste!", den der Protagonist als Schlusssatz direkt ins Publikum rufen sollte, fallen lassen musste, packt der unübersehbar als Parabel auf die Kommunistenjagd McCarthys angelegte Film noch immer. Schleichend breiten sich hier Panik und Entsetzen aus, wenn sich Aliens in die Körper der schlafenden Bewohner einer Kleinstadt einnisten und ihr Denken kontrollieren. Zwei Remakes, eines von Philip Kaufman unter dem originalen Titel 1978 und eines von Abel Ferrara unter dem Titel "Body Snatchers" 1993, hat dieser Klassiker inzwischen erfahren.

Mit Elvis Presley in der Hauptrolle drehte Siegel den Western "Flaming Star" (1960), Ronald Reagan besetzte er als Killer in seiner Hemmingway-Verfilmung "The Killers" ("Tod eines Killers",1964). Wie letzterer entstand auch "The Hanged Man" ("Einbahnstraße in den Tod", 1964) als Fernsehfilm, dennoch erfuhren beide eine Kinoauswertung. Mit kleinem Budget und in kurzer Zeit drehte Siegel bis in die späten 60er Jahre, was ihn zu ökonomischem Arbeiten zwang: Prägnant und funktional erzählte kompromisslose Filme waren das Resultat.

Erst mit dem Polizistenfilm "Madigan" ("Nur noch 72 Stunden", 1968) bekam er größere Budgets, landete mit "Dirty Harry" dann Anfang der 70er Jahre seinen größten kommerziellen Erfolg – musste aber auch gegen Vorwürfe Stellung nehmen, ein rechter Apologet von Selbstjustiz zu sein. Entschieden distanzierte sich Siegel von dieser Schubladisierung und betonte, dass er ein Liberaler sei, der mit der Linken sympathisiere und beispielsweise ein militanter Gegner des Vietnamkriegs gewesen sei.

Wie er mit "Coogan´s Bluff" und "Dirty Harry" nach Sergio Leone zum zweiten großen Förderer von Clint Eastwood Karriere wurde, so verdanken auch andere Hollywoodstars Siegel große Rollen. Robert Mitchum spielte einen kleinen Gauner in "The Big Steal", in "Madigan" treten Henry Fonda als Polizeichef und Richard Widmark als Cop auf und wunderbare Altersrollen für Lauren Bacall, James Stewart und einen großen autobiographisch getönten Abgang für John Wayne bietet der melancholische Spätwestern "The Shootist".

Auch Walter Matthau durfte bei Siegel für einmal aus der Rolle des Komödianten ausbrechen und in dem meisterhaften Gangsterfilm "Charley Varrick" (1973) gegen das schier übermächtige organisierte Verbrechen trickreich um sein Leben kämpfen. Ein letztes Meisterstück gelang diesem 1991 verstorbenen Profi 1979 mit dem gerade durch seinen Minimalismus und seinen Verzicht auf jedes Spektakel atemberaubend spannenden Gefängnisfilm "Escape from Alcatraz".