Weiße Federn, schwarzes Fell

Tiere sind dem Menschen vertraut und zugleich fremd. Unter Fell und Federn stecken das gezähmte Haus- und Hoftier, das gebändigte Zoo- und Zirkustier und das exotische Wildtier. Das Tier wird verniedlicht und vermenschlicht, geliebt oder gefürchtet. Auch in Gestalt der Chimäre bevölkert das Tier Fabeln, Märchen und Mythen und hat, beispielsweise in Werken der Künstlergruppe Der Blaue Reiter, auch die Kunst "animalisiert".

Das Motiv des Tieres in Darstellungen aus dem gesamten 20. Jahrhundert, in Gemälden, Skulpturen und Plastiken, Zeichnungen und Druckgrafiken, Filmen und Videos, erweist sich als Moment der Vermittlung oder Verrätselung der Welt. Fell und Federn trennen auch sinnbildlich die Innen- und die Außenwelt und werden zur Projektionsfläche des Menschen, seiner Wunschvorstellungen und Ideale, seiner Ängste und Erfahrungen.

In das Werk Pablo Picassos hat sich die Liebe zu den Tieren in Darstellungen etwa der Taube, der Eule oder dem Stier ebenso eingeschrieben wie die Leidenschaft für den Stierkampf. Und während die persönlichen Erfahrungen Picassos und sein künstlerisches Schaffen immer eine Einheit bildeten, gesellten die Tiere sich wie selbstverständlich anderen Themenkomplexen dazu. Sie unterlagen von Bild zu Bild Metamorphosen und gerieten zu wandelbaren Metaphern oder geradezu eigenständigen Protagonisten, wie der Minotaurus in den datierten Blättern der zu einem "Tagebuch" des Jahres 1937 sich ausweitenden berühmten "Suite Vollard". In der Vielfalt ihrer Zuschreibungen führen die Darstellungen Picassos vor allem zurück auf eine Auseinandersetzung mit dem menschlichen Dasein, dem künstlerischen Schaffen und nicht zuletzt den menschlichen Leidenschaften.

Scheinbar unberührt von der Wirklichkeit stehen hingegen in den Plastiken und grafischen Werken einer Künstlerin wie Renée Sintenis, die in den 1920er-Jahren in Berlin ihre Erfolge feierte, ganz das Tier und seine natürliche Haltung im Zentrum. In Zeiten des Krieges und Terrors sind diese Werke sicherlich Ausdruck eines Weges der Isolation. Sie stehen jedoch vor allem dem Verlust des Paradieses als Hoffnung entgegen, wenn der Mensch in der Darstellung des neugeborenen oder jungen Tiers eine Chiffre der Natur für die hohe Würde der Schöpfung entdeckt.

Ein weiteres Kapitel ist den Werken der Künstler des Blauen Reiter gewidmet, in denen das Tier zum Sehnsuchtsmoment gerät und über den äußeren Schein der Dinge hinaus bis hin zur Abstraktion erforscht wird. Der Blick auf das Tier und seine Umsetzung in Werken der expressionistischen Künstler verdeutlicht, ebenso wie die Grafiken von Joseph Beuys, die unter dieser Perspektive gezeigt werden, nichts weniger als den Versuch einer gesellschaftlichen Veränderung.

Tiere und fantastische Kreaturen als Protagonisten von Fabeln und Märchen sind von Marc Chagall entgegen der tradierten Bildfindungen illustriert worden oder schildern im Werk von Niki de Saint Phalle in Gestalt eines Drachens oder Vogels eigene Lebenserfahrungen. Dargestellt wird, in welchem Maß insbesondere das Motiv des Drachen zu einem wandelbaren Bildsymbol der Künstlerin wird, vom bedrohlichen oder mahnenden Begleiter des künstlerischen Schaffens bis hin zu einer höchst politischen Methapher. Die schwedische Videokünstlerin Nathalie Djurberg wiederum legt in ihrem Video ein Bild für das klassisch-märchenhafte Ringen zwischen Gut und Böse in einer eigenen Chimäre an, in der Wolf und Kind als Ikonen dieser zwei Seiten verwachsen sind.

Schließlich tritt die Erfindung fremdartiger Naturbilder ins Bild, etwa in Werken von Paul Klee, in denen grotesk erscheinende Figurenfindungen theaterähnliche Szenerien, Garten- und Traumlandschaften parallel zur Wirklichkeit behaupten. Die Videokünstlerin Corinna Schnitt spielt in ihrer Arbeit mit dem Begriff des "Haustiers", wenn sie Tiere innerhalb und außerhalb der gewohnten Umgebung aufzeichnet. Das konventionelle Verhältnis von Mensch, Tier und Natur kehrt sich in diesen Werken um und zeigt eine andere als die gewohnte Perspektive auf die Lebenswelt.

Tieren und Chimären sehen auf eine ikonografische Tradition, etwa in Heraldik und Emblematik, in religiösen und profanen Darstellungen zurück. Im 20. Jahrhundert, so zeigt sich bereits in der mehrdeutigen Behandlung ein und desselben Tiermotivs, erfolgt eine ikonografische Befreiung aus dem Korsett seiner festgeschriebenen Bedeutungen. Die Werke beschreiben einen Weg der Auseinandersetzung des Verhältnisses zwischen dem Menschen und dem Gegenüber in der Natur. In den Darstellungen der genannten Künstlerinnen und Künstler wie auch in zahlreichen weiteren Werken wird dieses Gegenüber nicht nur eingefangen, sondern zugleich der Abstand des Menschen zum Tier, in dem sich ein Bild des Menschen spiegelt, vermessen.

Die Ausstellung umfasst rund 190 Werke von Künstlern wie Max Beckmann, Joseph Beuys, Heinrich Campendonk, Marc Chagall, Nathalie Djurberg, Jean Dubuffet, Lothar Fischer, Paul Klee, Franz Marc, Marino Marini, Ewald Mataré, Christiane Möbus, Jean Painlevé, Pablo Picasso, Anri Sala, Niki de Saint Phalle, Corinna Schnitt, Kurt Schwitters, Karel Teige.

Weiße Federn, schwarzes Fell
Tiere in Darstellungen des 20. Jahrhunderts
2. September 2012 bis 10. Februar 2013