Was sich also den Weg ins Freie bahnt

Beim Betrachten der Kunstwerke von Christiane und Michael Schmid, die noch bis 13. Mai in der Galerie im Innenhof in Lindau zu sehen sind, wachsen die Gedanken, in denen sie diese an deren Farben und Formen, deren Witz und Ironie annähern. Sie scheinen wie durch den Raum zu schweben, leicht, federleicht, farblich einfühlsam und sinnlich wie die beiden "Lovers on the Park Bench", von Samuel Johnson, aus der Oper "Einstein on the Beach", von Phil Glass und Robert Wilson.

Michael Schmids Verhältnis und Weg zur Kunst hat mit seiner früheren beruflichen Tätigkeit zu tun. Er beschäftigt sich mit zeitrelevanten Themen, die ihre Potentiale aus der Wirkmacht der Geschichte beziehen sowie aus einem Koordinatensystem von Diskursen und Diskussionen zu Ästhetik, Ethik und Macht. Nicht Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei dieser Schmid‘schen Kunst ausbrütet. Es ist die konjunktivische Perspektive, das Was-wäre-Wenn? ist die Frage, die die künstlerische Inszenierung auslöst. Dieser Art Kunstlogik führt in die Ambivalenz, ins Multiperspektivische, ins Nicht-Eindeutige.

In Christiane Schmids Bilder gehen Personen, jede in ihrer je eigenen Individualität und doch ist es, als schwebten sie wie in seidenen Netzen. Sie gehen von ihren Herzen angeschoben und gezogen wie von rotgoldenen Seidenfäden, die den Sack aufknöpfen, in dem die Wunder der Welt herumgetragen werden. Vor den Gehenden schwebt wie ein Segel eine leichte Dunstschicht. Bewegung und Gelassenheit. Mit diesen Augen, dachte ich, wird die Gehende Wiesen sehen, auf denen jeder Baum wie ein Spiegel agiert. Sie wird sehen, wie der Tag zuerst in den Augen anbricht und sich dann über Berge und Flüsse ausbreitet. Ihre Augen werden der Ort sein, in dem jede Nacht ein Stück ihrer Träume zurücklässt, in dem das Licht des Morgens das Alphabet des Geheimnisses aufschreibt.

Aktivierte Erinnerungsreste

Michael Schmid, der sich mit Skulpturen auseinandersetzt, sieht in seiner Kunst eine Fortsetzung mit anderen Mitteln seiner vorherigen beruflichen Existenz. Als Psychotherapeut und langjähriger Leiter des Instituts für Sozialdienste in Dornbirn. Während das zentrale Element sich vorher ausschließlich im sprachlichen Bereich abspielte, gibt es bei der künstlerischen Arbeit einen direkten Fokus auf jene Mechanismen, die im Traum stattfinden. Freud und der Traum. Die Bewusstseinsfunktion ist ausgeschaltet und die motorische Abfuhr damit gehemmt / blockiert. Und in dieser Regression werden Erinnerungsreste aktiviert, alles was an Tagesresten und anderen Erinnerungen und Verdrängtem noch da ist. Da spielen auch periphere thematische Momente, wie die Politik eine Rolle. So gesehen taucht der Titel “Blickfang” auf, der Titel der Ausstellung. Vor allem der Untertitel “Verschiebungen” und “Verdichtungen”sind die zwei zentralen Mechanismen der Traumart, die die künstlerische Tätigkeit der beiden charakterisiert. Es geht nicht ums Darstellen oder Abbilden, sondern um halbbewusstes Weiterverarbeiten von Eindrücken, vielleicht auch Gedanken. Dies trifft auf beide zu. Blickfang. Sie zeigen nichts.

Was also bahnt sich den Weg ins Freie? – Michael Schmid

Michael Schmid hat mit Pappmaschee begonnen, es gab keinen vorgezeichneten Weg, die Idee war da. Die Idee der Verdichtung. Fand Anregungen bei Niki de Saint Phalle, die wir kürzlich im Zürcher Kunsthaus sahen. Gelernt hat er im Feldkircher Atelier bei Maybritt Chromy. Sie hat ihn länger als ein Jahr in die Techniken eingeführt, wie man diese Pampe macht, damit ein Gegenstand hält. Mit dem Wunsch und Ziel, eine lebensgroße Figur zu konstruieren.

Eine erste Idee war eine Sigmund Freund Figur. Eine MiniFreudFigur. Das war sein Weg in die Skulptur. Daneben gibt es viele andere Gegenstände, Abfall, Verpackungsmaterial, eine Espressomaschine … er hat dazu eine Idee und mit Hilfe von Pappmaschee, werden daraus Figuren, so auch aus Steinen am Strand. Oft erfolgen Interventionen auch mit Worten, im Gestus des Spielerischen, ironisch über Sinnverschiebungsideen. Ein Steinheiliger. Sigmund Freuds Verhältnis zum Witz und zum Unbewussten schauen hier zum Fenster herein. Es sind keine primär ernsten, problembezogenen Arbeiten. Sondern Verschiebungen innerhalb der Ironie. George Bataille.

Christiane Schmid

Christiane Schmids Leinwand ist kein statisches Medium, sie besitzt strategische Aufgaben. Ist in Bewegung. Always on the move: Do you want to walk or shall we take a tram? From Ulysses, James Joyce. In ihren Bildern gibt es eine absolute Konsistenz, ihre Bilder sind ihre Entdeckungsreisen. Es vibriert und atmet, visualisiert hinter Schleiern tauchen Erzählungen auf, Geschichten, Poesie, lyrisch und dialogisch dennoch, en passant, im Vorbeigehen, wie wenn man jetzt am Holderbusch eines Gartens vorbeispaziert, nachmitternächtlich, und den Duft mit in den Schlaf nimmt. Das Gedachte, in all seiner Sinnlichkeit, nicht wiegbar und messbar, gesetzt in fragmentarischen Strukturen. Zeichen. Gewordene Bildsamkeit. Mit den Bewegungen der Künstlerin. Ich würde gerne einmal eine aktuelle Erzählung von ihr lesen, so zusagen die nächste Papierfolie, hinter der nächsten und der nächst weiteren. Schmid’sche Bildpoesie.

Christiane Schmid hat zu malen begonnen, als sie zum 60. Geburtstag eine Staffelei bekam. Eine Affinität zur Kunst brachte sie aus ihrem Leben mit, sie schrieb früher schon Kurzgeschichten und Lyrik, war damit im Radio. Der Schritt zur Malerei resultiert aus ihrer ingesamten Lebensphilosophie, einer Synthese aus ihrer Praxis der Psychotherapie und des Seminarierens als Forschende und Lehrende. Felder, die selbst aus kreativen Koordinaten kommen. Vor der Staffelei, im Schritt zur Malerei, entdeckt sie das Bild, das schon in der Leinwand drinnen sei. Ohne Vorskizze – wie by magic touch – zaubert sie hervor, was schon da ist. Die Fragen aus dem gesamten psycho-therapeutischen Berufsleben, die dialogische Zugewandtheit, setzt sie fort, beschäftigt sich seit 2015 und späterhin mit Flüchtlingen aus dem Irak und aus Syrien, lernt mit ihnen ein wesentliches Fundamentum des Lebens in der Fremde, die Sprache, um Fuß zu fassen in der Fremde. Daraus werden, wie bei einer Familie, auch Freundschaften.

By magic touch

Erste Bilder entstanden mit 65, als sie mit ihrer Praxis aufhörte und begann neue Geschichten aufzusammeln. Die Künstlerin ist im eigentlichen Sinn Autodidaktin, hatte nie etwas für diese Kunstpraxis gelernt, wie etwa einen Pinsel zu halten oder Figuren zu positonieren. Wie wir hier staunend sehen können, eigentlich, steckt dahinter eine mit Kunst angereicherte Biographie. Zahlreiche Ausstellungen seit jungen Lebensjahren, viel Malerei gesehen, Edward Munch und andere, auch Westermanns Monatshefte studiert. Heute malt sie meist am Abend, in Ruhe, wenn die Stunden im Fluss vergehen und die thematischen Elemente, das Surreale und die Träume, eine große Rolle spielen. Mittlerweile sind die Bilder harmonischer geworden. Früher war es dort wilder, roher, gröber, eruptiver.

Ihre Bilder erzählen von einem reflexiven Prozess. Mit uns Betrachtern kommuniziert sie gedanklich dialogisch und setzt damit eine Selbstaneignung in Gang. Hier: Auf jedem Bild von Christiane Schmid entsteht ein still erscheinendes Universum, das mit der Syntax der Malereien, dem Konstellativen, spielt. Die Karten neu mischt. Die Grammatiken neu arrangiert. Dadurch entsteht etwas, was ich die nicht-autoritäre Macht der Malerei nenne. Wie bei einem Karussell ordnet sie, Bild für Bild, um ein Thema herum eine Reihe von Unterthemen. Diese halten uns an, stehen zu bleiben und zu assoziieren.

Beide Kunstschaffenden, Christiane Schmid und Michael Schmid, betreiben Kunst als quasi empirische Soziologie und verführen beide mit einer Liebe zum Detail, lassen uns Phantasieren, als wären wir Kinder, hineinsteigen in andere unbekannte und dennoch nicht fremde Bilderwelten. Damit praktizieren sie Kunst als Soziologie und Soziologie als Kunst. Als Wahrnehmungskunst, als Sprach- und Erinnerungskunst. Im Zauberlicht. Das golden fließt.
Und zu Michael Schmids Skulpturen fällt mir noch Fernando Pessoa ein. "Die Reisen sind die Reisenden" aus dessen Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernard Soares, der in einem Kontor der Lissabonner Unterstadt, der Baixa, arbeitet und sich dort fast nur zwischen seinem möblierten Zimmer und den Fenstern bewegt. Als „äußerste Schwäche der Einbildungskraft“ erscheint ihm die Vorstellung, man müsse „den Ort wechseln, um zu fühlen“. „Existieren ist reisen genug“, lautet seine Devise. Tatsächlich jedoch entdeckt er in seiner kleinen Welt mehr als die meisten in der sogenannten großen, weiten Welt, ist er doch nicht auf Abenteuer aus, sondern das Leben an sich erscheint ihm schlechthin als abenteuerlich.
https://kunstschmide.at

Christiane Schmid u. Michael Schmid: Blickfang. Verdichtungen. Verschiebungen
Galerie im Innenhof. Lindau Insel, Cramergasse 9
Bis 13. Mai 2023, täglich von 11 bis 18 Uhr