Vorbild

1. Oktober 2005 Bernhard Sandbichler
02.10.2018 bis  02.10.2018
Bildteil

Goethe war stets ein Vorbild. Aber wer — auch unter eingefleischten und ausgefuchsten Germanisten — weiß von seiner Vorbildhaftigkeit für Mario Puzo? Wie der italo-amerikanische Autor zum Titel seines Weltbestsellers "The Godfather" (dt. "Der Pate") kam.

Den Namen "Goethe" hörte Puzo bei einer Dinner-Party Mitte der 50er Jahre zum ersten Mal. Und zwar aus dem Mund eines Franzosen. (Es war kein Geringerer als Camus.) Er bekam also eigentlich so etwas Ähnliches wie "Göt" zu hören. Jahre später, 1968, als er auf den damals noch völlig unbekannten österreichischen Maturanten Michael Köhlmeier traf, wurde wieder großspurig über Literatur geredet. Köhlmeier konnte mit dem Begriff "Göt" allerdings wenig anfangen. Er vehedderte sich und wies im Gespräch darauf hin, dass "Göt" oder auch "Gota" im Österreichischen für "der/die Pate/Patin" stünde. Die Kombination "Johann Wolfgang von Pate" ging Puzo daraufhin nicht mehr aus dem Kopf. Die Hauptfigur seines neuen Romans sollte einer sein wie Goethe: "Jemand, zu dem jeder kam, um Hilfe zu erhalten, und der diesbezüglich keinen enttäuschte. Er machte nie leere Versprechen, sondern volle Kanne. Das Entgelt? Freundschaft, die respektvolle Anrede mit "Geheimrat" und hin und wieder schmeichelhaft mit "Götterknabe"". Ein Pate eben.

Die karitativen Charakterzüge Goethes hat Puzo für seine Hauptfigur zur Gänze übernommen. Den Roman allerdings "Göt" zu titeln schied von Vorneherein aus (wegen des für Amerikaner völlig undenkbaren Umlauts "ö"). "Pate" (als "Peit" ausgesprochen) — darunter würde man sich in den USA nichts vorstellen können. "Gods' Boy"? Unmöglich! Der streng katholische Italo-Amerikaner entschied sich schließlich dafür, das nicht zu überbietende "The Godfather" als Titel zu nehmen. Den Plan, seine Hauptfigur als so etwas wie einen "Secret Advisor" auftreten zu lassen, verbat sich von selbst. "Don Corleone" war die in einem weiteren Arbeitsschritt vollzogene Anverwandlung und Verballhornung von Schillers "Don Carlos".

Mario Puzos Roman "The Godfather" erschien 1969 als klassischer Blockbuster. Die deutsche Ausgabe kam unter dem Titel "Der Pate" heraus. Die Übersetzerin Gisela Steger erfasste den Kontext offenbar intuitiv. Oder irre ich?

Und wenn schon! "Errare humanum est", sagt Vater Hieronymus
(Epistulae 27,12), und wir sind schließlich alle bloß Menschen.

Quelle: Time Magazine, Aug. 28, 1978